Zeit für Regen und
die Tiere im Wald

Erholung von den Stilübungen: „Pferde stehlen“, ein Film des Norwegers Hans Petter Moland (Wettbewerb)

Ein sinnlicher Film mit wehmütiger Stimmung Foto: 4 1/2 Film/Berlinale 2019

Von Barbara Schweizerhof

Eines der Spiele, das sich besonders gut auf Filmfestivals spielen lässt, ist das Raten, ob der Film nach einer literarischen Vorlage erstellt ist. Eine Erzählstimme aus dem Off ist da oft verräterisches Indiz, sie kann aber auch in die Irre führen. Trotzdem, wenn zu Beginn von „Out Stealing Horses“ („Pferde stehlen“) Stellan Skarsgård sich aus dem Off vorstellt als einsamer Mann, der als Pensionär nach Nordnorwegen zog und sich dort auf eine allein verbrachte Neujahrsnacht und den Beginn des neuen Jahrtausends freut, da weiß man gleich: Hier hat man es mit Literatur zu tun.

Ein alter Mann blickt 1999 zurück auf sein Leben, und der Film inszeniert diese Erinnerungen als jene blitzhaften Visionen, wie sie leider realiter in ihrer Bildgewalt sehr selten vorkommen. Man sieht etwa kurz grünes, frisches Gras dort, wo der alte Trond (Skarsgård) durch meterhohen Schnee watet. Man sieht auch das lächelnde Gesicht einer älteren Frau in Großaufnahme, dann das gleiche Gesicht mit blutiger Stirn an einer Autoscheibe, reglos, dazu die Blaulichter von Notarzt- und Polizeiwagen im Einsatz. Ein Unfall. Er sei gefahren, bekennt Trond aus dem Off, aber er empfindet kein Schuldgefühl, nur Trauer darüber, allein zu sein nach 38 Jahren des Zusammenlebens.

Die eigentliche Erzählung des Films beginnt erst, als Trond in dunkler Winternacht auf seinen Nachbarn Lars (Bjørn Floberg) trifft. Der erzählt ihm eine bizarre Geschichte darüber, wie er einmal einen Schäferhund erschießen musste. Erst als sie sich verabschieden, merkt Trond, dass er diesen Lars schon ewig kennt, auch wenn sie sich das letzte Mal vor mehr als 50 Jahren gesehen haben.

Und so springt der Film die 50 Jahre zurück, in den Sommer des Jahres 1948, den der damals 15-jährige Trond mit seinem Vater in einer Hütte nahe der schwedischen Grenze verbracht hat. Das „literarische“ Gefühl steigert sich noch, weil auf einmal sehr viele Themen gleichzeitig eingeführt werden: Da ist das Verhältnis von Trond zu seinem Vater, überschattet davon, das dies offenbar die letzten Tage waren, die sie zusammen verbrachten. Da ist die Freundschaft zum gleichaltrigen Nachbarsjungen Jon, der eines Morgens sehr abwesend gestimmt vorbeikommt, um Trond aufzufordern mit ihm „Pferde stehlen“ zu gehen. Da ist Jons Mutter (Danica Curcic), deren Schönheit Trond bewundert. Und das ist noch längst nicht alles, denn es gibt auch Geschichte mit großem G, sie grundiert die Verhältnisse dieser Figuren untereinander. Der Zweite Weltkrieg und die Besetzung Norwegens durch die Wehrmacht ist 1948 gerade drei Jahre her.

Am schönsten ist der Erzählrhythmus, auf den man sich hier einlassen muss: stotternd, mit abrupten Wechseln

„Pferde stehlen“ ist bereits die vierte Arbeit, mit der Hans Petter Moland im Berlinale-Wettbewerb vertreten ist. Die Werke davor – „Beautiful Country“ (2004), „Ein Mann von Welt“ (2010) und „Kraftidioten“ (2014) wurden zwar nicht ausgezeichnet, besonders die letzten beiden blieben aber in Erinnerung als Erholung von Problemfilmen und strengen Stilübungen, die sonst meist den Wettbewerb beherrschen. Ebenfalls mit Stellan Skarsgård im Zentrum, waren es Genre-Hommagen mit viel Gewalt, stoischem Witz und manchmal recht primitivem Humor. Molands Verfilmung des Weltbestsellers von Per Petterson aus dem Jahr 2003 ist nun das Gegenteil davon: sanft, wo die anderen Filme gewalttätig waren, dafür fast ohne Humor. Am schönsten ist der Erzählrhythmus, auf den man sich hier einlassen muss.

Moland schildert gleichsam stotternd, mit vielen abrupten Wechseln, und lässt sich dabei doch viel Zeit – für die Tiere im Wald etwa, die knarzenden Bäume, den strömenden Sommerregen. „Pferde stehlen“ ist ein sehr sinnlicher Film, mit schöner, wehmütiger Stimmung. Dass man ihm seine literarische Grundlage so anmerkt, ist gerade gut.

17. 2., 13.30 Uhr, Friedrichstadt-Palast