TÜV mit Macken

Der FC Bayern gewinnt zwar das Pokal-Achtelfinale gegen Hertha BSC Berlin, aber selbst bei größter Dominanz bleiben die Münchner anfällig für Fehler

Aufregung an der Seitenlinie: Coach Kovač, Ribéry (vorn) und Müller (hinten) geben eine Ahnung von der Wichtigkeit der Partie Foto: dpa

Aus Berlin Johannes Kopp

Mit der Bitte um Beistand wandte sich fast die gesamte Verteidigung des FC Bayern München an den rot-weißen Anhang. Die fuchtelnden Armbewegungen, mit denen Niklas Süle, David Alaba und Jo­shua Kimmich vor der Verlängerung versuchten, die Fans in der Gästekurve des Berliner Olympiastadions aufzuwiegeln, schienen die eigene große Not nachzuzeichnen. Dabei war es beileibe nicht die harmlose Berliner Offensive, die ihnen so zugesetzt hatte. Ein fahrlässiger Fehler von Innenverteidiger Mats Hummels, der den Berliner Ausgleich begünstigte, hatte sie in die Bredouille gebracht. Derlei Hilfsgesuche sind selten bei den Bayern. Aber nach den vielen Enttäuschungen in der Meisterschaft war das Team am Mittwochabend dabei, den möglichen Trostpreis, den Pokalsieg, bereits im Achtelfinale zu verspielen. Der Ausruf des Ausnahmezustandes an der Säbener Straße drohte.

Das Schlimmste konnte zwar dank der glücklich endenden Pokalpartie verhindert werden, die Mannschaft von Trainer Niko Kovač befindet sich dennoch in einer prekären Lage. Denn selbst wenn der FC Bayern so dominant auftritt wie bei Hertha BSC Berlin, bewegt sich das Team beängstigend nah am Abgrund. Das war die Erkenntnis des Abends. Das unwägbare Elfmeterschießen blieb dem Favoriten nur erspart, weil Kingsley Coman in der 98. Minute im Wettstreit mit drei Herthanern den Ball irgendwie noch über die Linie zum 3:2 köpfte.

Achtelfinale

Berlin - München 2:3 n. V.

Schalke - Düsseldorf 4:1

Leipzig - Wolfsburg 1:0

Kiel - Augsburg 0:1

Dortmund - Bremen 2:4 i. E.

Duisburg - Paderborn 1:3

Heidenheim - Leverkusen 2:1

HSV - Nürnberg 1:0

Geschichte

Der Wettbewerb erlebt seine 72. Saison. Erstmals wurde der Titel 1935 vergeben. Ab 1944 ruhte der Wettbewerb für acht Jahre, um mit Beginn der Saison 1952/1953 neu gestartet zu werden, jetzt unter der offiziellen Bezeichnung DFB-Pokal.

Geld

Die Achtelfinalisten haben 540.000 Euro erhalten, das Viertelfinale wird mit knapp 1,2 Millionen honoriert. Fürs Halbfinale gibt es 1,75 Millionen. Auf das Konto des Pokalsiegers wandern über 6 Millionen Euro. Hinzu kommen in jeder Runde die Zuschauereinnahmen, die 50:50 zwischen Heim- und Gastverein geteilt werden.

Natürlich bemühte sich Kovač hernach, die Gefahrensituation kleinzureden: „Gott sei Dank haben wir das Spiel gewonnen, es ist nicht allzu viel passiert.“ Nach dem, was alles in der Hinrunde passiert ist – starker Beginn, fataler Einbruch mit vier Niederlagen, Aufwärtstrend –, müssen sich Kovač und seine Elf nun Spiel für Spiel einer Art TÜV-Überprüfung unterziehen, inwieweit der FC Bayern eigentlich noch eine Spitzenmannschaft ist. Es besteht der dringende Tatverdacht des Etikettenschwindels. Im Verein soll mit zu vielen alten Bauteilen hantiert werden, die höheren Belastungstests nicht mehr gewachsen sind. Zuletzt und zuvorderst wurde in der Mängelliste die lahmende und stets wartungsbedürftige Flügelzange Robéry (Arjen Robben und Franck Ribéry) angeführt.

Doch für diese Schwachstelle scheint Kovač eine verheißungsvolle Lösung gefunden zu haben. Coman und insbesondere Doppeltorschütze Serge Gnabry übten von den Seiten enormen Druck auf das Berliner Verteidigungsbollwerk aus, zusammen erzielten sie alle drei Treffer. Mit ihren gefährlichen Hereingaben hätten sie sich auch als Vorlagengeber profilieren können. Wegen Verletzungsproblemen standen Kovač bislang beide Spieler kaum gemeinsam zur Verfügung. Vom gerade genesenen Gnabry schwärmte er dann auch. Er strich seine Dynamik hervor und lobte: „Er ist technisch so sauber, so stark links wie rechts. Man kann gar nicht sagen, ob er einen linken starken Fuß hat oder einen rechten.“

Die Statistikwerte des FC Bayern in Berlin müssten jeden TÜV-Prüfer überzeugen. Die Zahlen lasen sich wie die alten Protokolle der glänzenden Heynckes- oder Guardiola-Ära: 74 Prozent Ballbesitz, 1.006 gespielte Pässe, 23:4 Torschüsse. Die in dieser Saison bei Stabilitätstests so oft versagende Defensive beim FC Bayern überzeugte ebenfalls über weite Strecken in Berlin. Diese kleine Einschränkung allerdings beschreibt ein großes Pro­blem: Der eingangs erwähnte Patzer von Hummels, der Davie Selke mit einer halbgaren Kopfballintervention den Ausgleichstreffer vorlegte, hätte alle anderen Leistungsnachweise beinahe wertlos gemacht. Torhüter Sven Ulreich, der den verletzten Manuel Neuer vertrat, plädierte für eine Ausnahmeregelung: „Man hat gesehen, dass wir momentan nicht so sicher hinten agieren, da müssen wir konsequenter sein und ab und zu den Ball auch wegschlagen als FC Bayern.“

„Er ist technisch so sauber, so stark links wie rechts“

Niko Kovač über Serge Gnabry

Die Frage drängt sich auf, wie das Team gegen stärkere Gegner wie den FC Liverpool bestehen will. Gerade nach diesem Mittwochabend kann man sich jede Menge angriffsbereitere Gegner als Hertha BSC vorstellen. Kovač gab vor, ihm sei nicht bange. Was soll er anderes sagen? Beim FC Bayern darf er nur weiterwerkeln, wenn er durch den Spitzenteam-TÜV kommt. Insgeheim denkt er gewiss über weitere Reparaturen im Defensivverhalten nach. Die Fähigkeiten von James kommen zudem nach wie vor im Eigenbausystem von Kovač nicht so recht zum Tragen, auch wenn er mit seiner gedankenschnellen Torvorlage auf Gnabry seinen Beitrag zum Erfolg leistete.

An die unverrückbare Größe des FC Bayern schien einzig und allein Hertha BSC zu glauben. Trainer Pál Dárdai verordnete seinem Team strikte Zurückhaltung. Eine altbackene Strategie. So altbacken wie der Hertha-Barde Frank Zander, der mal wieder das Vereinslied vor der Ostkurve intonierte.