Vom Erlkönig zu Blut und Boden

HÖRKUNST Bayern 2 sendet die urbane Soundcollage „Weekend“ (21.03 Uhr)

Es knistert. Auf einen Gongschlag folgt eine Säge, dann setzt das rhythmische Stampfen eines Schmiedehammers ein. Tonfragmente industrieller Produktion breiten sich aus und werden durch Gesprächsfetzen abgelöst. Eine Mädchenstimme zitiert die ersten Verse von Goethes „Erlkönig“.

Klingt alles nach einer artifiziell-dynamischen Soundcollage von Alltagsgeräuschen. Ist es auch. Dokumentarische Medienkunst eben. 1930 allerdings kam Walter Ruttmanns avantgardistisches Hörstück „Weekend“ einer kleinen akustischen Revolution gleich. Der Bayerische Rundfunk hat den für seine Zeit radikal innovativen 11-Minüter des Berliner Rundfunks hervorgeholt (Bayern 2, 21.03 Uhr) und widmet ihm in der Reihe „hör!spiel!art.mix“ ein zweistündiges kommentierendes Feature – inklusive mehrerer Remixversionen der Urfassung.

„Weekend“ ist Ruttmanns einziges Hörspiel. Radikal-innovativ ist es auch, weil die Basis der Tonmontage eine Aufzeichnung ist – damals ein Novum. Hörspiele wurden live gesendet, direkt aus dem Studio. Ruttmann, der eigentlich Filmemacher war, verwendete dafür eine visuelle Aufnahmetechnik („Tri-Ergon Lichtton-Aufzeichnung“). Insofern handelt es sich um einen Hörfilm, der als akustische Tochter seines wohl bekanntesten Werks, „Berlin. Symphonie einer Großstadt“, fungiert.

Die Karriere des Regisseurs verzeichnet aber auch einen markanten Knick. Seine mediale Innovationskraft blieb auch den Nazis nicht verborgen. Aus dem Sample-Pionier der 30er Jahre wurde ein übler Propagandafilmer („Blut und Boden“). Aus einem stilprägenden Experimentalkünstler, der sich das „Beschleichen der Wirklichkeit“ als Maßstab gesetzt hatte, wurde ein Opportunist, der selbst dabei half, fatale Realitäten zu schaffen. JAN SCHEPER