Ohne offene Grenzen keine Zukunft

Der Gaza-Streifen braucht einen eigenen Hafen, einen Flugplatz und den Zugang zu Israels Arbeitsmarkt. Anders kommt die Ökonomie nicht wieder auf die Füße, sagt Wirtschaftsminister Mazen Sinokrot

JERUSALEM taz ■ Was die jüdischen Siedler im Gaza-Streifen zurücklassen, ist zunächst einmal ein riesiger Haufen Schutt. Für die konservativen Minister in Jerusalem war der Abriss der Wohnhäuser Bedingung für ihr Ja zum Abzugsplan. Die Palästinenser willigten schließlich ein, da die kleinen Einfamilienhäuser für ihre Bedürfnisse ohnehin nicht passend sind.

Immerhin sagten die Bauern aus dem Siedlungsblock Gusch Katif den Verkauf von rund 90 Prozent der Gewächshäuser an eine private internationale Stiftung zu, die rund 12 Millionen Euro aufbrachte. Der ehemalige Weltbankchef James Wolffensohn, heute US-Sonderbeauftragter im Nahen Osten, spendete eine halbe Million US-Dollar aus eigener Tasche, um die landwirtschaftlichen Anlagen zu erhalten.

Ein kleiner Teil der Ländereien geht an die palästinensischen Familien zurück, die vor 38 Jahren von dort vertrieben wurden. Der Rest soll zunächst öffentlich verwaltet werden, bis private Betriebe die Arbeit selbstständig übernehmen.

Elf Jahre nachdem der Gaza-Streifen im Anschluss an die Unterzeichnung der Osloer Vereinbarungen zum ersten Mal autonom wurde, müssen die Palästinenser wieder von vorne anfangen. Ganz oben auf der Agenda steht der Wiederaufbau einer Infrastruktur. In den vergangenen knapp fünf Jahren der Intifada zerbombte die israelische Luftwaffe nicht nur zahlreiche Industriebetriebe, sondern auch Straßen und nicht zuletzt den nagelneuen, zumeist mit EU-Geldern finanzierten Flughafen an der ägyptischen Grenze.

Schon in den ersten zwei Jahren der Intifada schnellte die Armutsrate auf über 60 Prozent hoch. „Die palästinensische Rezension gehört zu den schlimmsten in der modernen Geschichte“, schreibt Wolffensohn. „Das Pro-Kopf-Einkommen sank seit September 2000 um mehr als ein Drittel.“

Für die wirtschaftliche Entwicklung „muss zunächst geklärt werden, was mit den Grenzübergängen passiert“, meint der palästinensische Wirtschaftsminister Mazen Sinokrot. Dazu gehöre vor allem die Errichtung eines Hafens und eines Flughafens, aber auch die Möglichkeit „palästinensischer Arbeit auf dem israelischen Markt“. In friedlichen Zeiten haben rund 100.000 Palästinenser ihren Lebensunterhalt in Israel verdient. Mit Beginn der Al-Aksa-Intifada blieben die Grenzen wiederholt über Monate geschlossen. Inzwischen dürfen aus dem Gaza-Streifen erneut gut 10.000 Arbeiter einreisen. „Der Gaza-Streifen ohne offene Grenzen ist nicht überlebensfähig“, glaubt Sinokrot.

Die Beschneidung der Bewegungsfreiheit ist zentraler Grund für die Wirtschaftsnot. Innerhalb des Gaza-Streifens werden nach Beendigung des Abzugs Straßenblockaden zwar der Vergangenheit angehören, doch bis heute ungeklärt sind die Verbindungsmöglichkeiten zum Westjordanland. Die sich derzeit abzeichnende Lösung ist eine „drei bis fünf Meter tief in der Erde verlaufende Verbindungsstraße“, so Sinokrot, der allerdings eine Bauzeit von mehreren Jahren erwartet. Bis zur Fertigstellung der „tunnelähnlichen Route ohne Dach“ sollen Transportkonvois – begleitet von israelischen Sicherheitsfirmen – zwischen dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland pendeln.

Das palästinensische Wirtschaftsministerium versucht mit der Verkürzung bürokratischer Wege und erleichterten Prozeduren, wenn es um die Lizenzen für kleinere und mittlere Betriebe geht, der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Schon im kommenden November wird zudem eine internationale Investment-Konferenz stattfinden, mit der in- und ausländische Unternehmen in das autonome Palästinensergebiet gelockt werden sollen. Allerdings kann „uns Israel auch dann noch Hindernisse in den Weg stellen“, fürchtet Sinokrot, wenn es um „Transport- und Aufenthaltsgenehmigungen“ geht. SUSANNE KNAUL