heute in hamburg: „Wir schaffen andere Sichtweisen“
Nils Zurawski, 50, arbeitet fürs Institut für kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg.
Interview Frieda Ahrens
taz: Herr Zurawski, sollte man nicht eigentlich mal damit aufhören, Journalisten Preise zu verleihen?
Nils Zurawski: Ehrlich gesagt habe ich mir schon Gedanken gemacht, ob wir die Verleihung des Surveillance-Studies-Preises dieses Jahr aussetzen sollen, nach der Geschichte mit dem Ex-Spiegel-Redakteur Claas Relotius.
Der für seine zum Teil erfundenen Geschichten mehrfach ausgezeichnet wurde.
Es gibt ja ganze Seiten mit Journalisten-Preisen im Internet. So viele Preise gibt es. Braucht man das wirklich? Die Frage ist berechtigt, ich habe da keine klare Antwort drauf.
Also hat die Preisverleihung in diesem Jahr schon einen bitteren Nebengeschmack?
Ja, natürlich. Ich denke schon: Boah, jetzt bist du auch einer, der was vergibt. Und Journalisten, die wir auszeichnen, haben oft schon Preise gewonnen. Da stellt sich die Frage: Haben wir besonders gute Journalisten oder kriegt sowieso jeder halbwegs anständige Journalist im Laufe seines Lebens so einen Preis?
Hat sich das Verhalten der Jury oder die Recherche geändert?
Nein, aber die Artikel, die wir zugeschickt kriegen, haben fast nie einen Story-Charakter, sind oft sehr technisch. Die unterscheiden sich also stark von Artikeln von beispielsweise Relotius. Sehr erzählerischen Beiträgen steht die Jury ohnehin skeptisch gegenüber. Dieses Jahr war auch der Film The Cleaners in der Diskussion, ein Film über Facebook, aber den wollte keiner so richtig anfassen.
Warum gibt es den Surveillance-Studies-Preis?
Ich habe mich zum einen geärgert, dass die Themen Überwachung und Kontrolle, obwohl sie alle betreffen, immer nur sehr klein diskutiert werden. Da bedarf es einer größeren Öffentlichkeit. Das Zweite ist, dass das populäre Schreiben darüber – also nicht nur in einem wissenschaftlichen Kontext, in dem wir immer veröffentlichen – noch wichtiger ist. So werden andere Sichtweisen auf das Thema geworfen. Und es wird eine Vernetzung geschaffen zwischen Wissenschaftlern und Journalisten.
Preisverleihung „Surveillance Studies-Preis 2019“: 18.30 Uhr, Edmund-Siemers-Allee 1, Gebäude ESA West, R. 221
Warum haben Sie sich dieses Jahr für den Fokus auf die Polizei entschieden?
Weil es an der Zeit war. Das Thema predictive policing, also vorhersagende Polizeiarbeit, ist gewissermaßen der letzte hot shit.
Wer hat gewonnen?
Timo Grossenbacher hat einen Text für die Onlineseite des Schweizer Fernsehens geschrieben: „Predictive Policing – Polizei-Software verdächtigt zwei von drei Personen falsch“. Der hat gewonnen.
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