Selbstbestimmte Liebe

Beratungszentrum stellt Modellprojekt für Behinderte vor

Liebe, Sexualität und Kinderwünsche geistig Behinderter werden in der Gesellschaft häufig tabuisiert. Mit dem Modellprojekt „Behinderte Liebe – Liebe(r) selbstbestimmt“ will das Essener Lore-Agnes-Haus nun Vorurteile abbauen und Betroffene unterstützen. Gestern hat das Beratungszentrum der Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Niederrhein (AWO) seinen neuen Arbeitsschwerpunkt vorgestellt. Seit Mai beraten und schulen zwölf MitarbeiterInnen Betroffene, Eltern, Schulen und Einrichtungen. Ziel ist, die selbstbestimmte Sexualität Behinderter zu stärken. „Sie haben wie alle Menschen ein Recht auf Sexualität“, sagt Projektleiterin Annette Wilke. Ihre Bedürfnisse unterschieden sich nicht von denen anderer. Leider hätten Themen wie Liebe und Sex in der Lebenswirklichkeit Behinderter wenig Raum.

Dabei besteht hoher Beratungsbedarf, von der Partnersuche bis hin zur Schwangerschaft. Wichtig sei, dass sexualpädagogische Inhalte nachhaltig vermittelt werden. „Dazu ist eine jahrelange Kooperation mit Schulen und Eltern notwendig“, so Wilke. Sexualität müsse anschaulicher als bei Nichtbehinderten erklärt werden. Allein beim Thema Verhütung reicht es nicht, nur abstrakt zu beschreiben, wie ein Kondom übergezogen wird. Hier seien Fotos oder plastische Modelle hilfreich – leider gebe es kaum geeignete Materialien. Deswegen plant die Beratungsstelle unter anderem, selbst Aufklärungsmittel herzustellen.

Die Zeiten der Zwangssterilisation oder medikamentöser Ruhestellung sind längst vorbei. Laut Gesetz dürfen Behinderte nicht in ihrem Liebesleben eingeschränkt werden, es ist Teil ihrer freien Persönlichkeitsentfaltung. Doch die Praxis in den Einrichtungen sieht oft anders aus. Je nach Haltung des Trägers werden sexuelle Kontakte der Bewohner unterbunden, Mitarbeiter scheuen die Verantwortung. Das Lore-Agnes-Haus berät deshalb auch in rechtlichen Fragen und möchte Berührungsängste von Eltern und Einrichtungen abbauen. Das zweijährige Projekt wird unterstützt von der „Aktion Mensch“. In Kooperation mit dem Kasseler Netzwerk „People First“ und dem AWO-Bundesverband soll es bundesweit umgesetzt werden. Zusätzlich wird ein Praxisleitfaden erstellt.

GESA SCHÖLGENS