Öfter mal ein Mittagsschläfchen

MENSCHHEITSGESCHICHTE Wolfgang Pohrt plädiert jetzt dafür, sich das fehlende Geld bei den Reichen zu holen. Ein lustiger Leseabend in der Volksbühne

Pohrt hält politische Umwälzungen für so schwer vorhersehbar wie Naturkatastrophen

Wolfgang Pohrt, der Soziologe und scharfsinnige Zeitdiagnostiker, hatte immer wieder gern für Ärger in der Linken gesorgt. In den 1980er und frühen 1990er Jahren hatte er ihr antisemitische und antiamerikanische Tendenzen attestiert, Hausbesetzer beleidigt und die Friedensbewegung als „deutschnationale Erweckungsbewegung“ denunziert. Auch dass er 1991 dafür plädierte, Israel solle irakische Giftgasattacken gegebenenfalls mit der Atombombe beantworten, hatte für Unmut gesorgt.

Kapitalismus forever

Ein paar Jahre hatte er nach dem Vorbild von Adornos „Studien zum autoritären Charakter“ über das Massenbewusstsein nach der Wende geforscht. Vor kurzem erschien seine Textsammlung „Kapitalismus Forever“, und am Samstagabend trat der streitbare Publizist im Sternfoyer der Volksbühne auf, um unter dem Titel „Die Vertreibung aus dem Paradies“ einen Abriss der Menschheitsgeschichte zu unternehmen.

Eingangs wurde Pohrt als Volksbühnen-Impulsgeber begrüßt. Sophie Rois ist großer Pohrt-Fan. Bazon Brock, den ich zunächst für Frank-Walter Steinmeier hielt, war auch dabei. Zunächst entschuldigte sich Pohrt dafür, dass er ein schlechter Vorleser sei. Die Akustik im Sternfoyer ist allerdings auch schwierig. Pohrt las schnell und ohne ein einziges Mal aufzublicken. Es begann mit der Vertreibung aus dem Paradies, die den Wunsch generierte, zurückzukehren; nach ein paar Minuten schon war er bei der Französischen Revolution und ihren christlichen Werten. Es ging um die technischen Allmachts- oder Machbarkeitsfantasien der 60er Jahre; das Staunen vor dem Atompilz, die „Apollo“-Missionen, die Vorstellung, mittels Atomkraft kostengünstig über unendlich viel Energie zu verfügen, und darum, wie die Protestbewegungen dem gleichen Machbarkeitswahn anhingen, was sich in ihren Parolen („Traum ist Wirklichkeit“, „Fantasie an die Macht“ usw.) zeigte. Es ging darum, wie Glaubenssätze von ihrem Gegenteil sprechen, wie das „Yes we can“ von Obama, wie der Gute – Kennedy – den Vietnamkrieg beginnt, den der Böse – Nixon – dann beendet, wie die Ökobewegung dann zugleich versuchte, den Traum von Fortschritt und Machbarkeit fortzuführen und zu verabschieden; wie Protestbewegungen Effekte der Gesellschaft sind, gegen die sie zu protestieren meinen.

Pohrt erklärte den Sozialismus für erledigt, erinnerte an den Kitsch linker Glaubenssätze („Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“) und hält politische Umwälzungen für so schwer vorhersehbar wie Naturkatastrophen.

Um den Unterschied zwischen Werk und Leben zu illustrieren, kam er dann auf Proust, dessen „Recherche“ er hoch schätzt, und den Sadismus des großen Romanciers, der sich daran zu erfreuen pflegte, wie sein Diener Ratten quälte. Und endete mit Joseph Conrads „Herz der Finsternis“. „Wenn die Vernunft herrschen soll, müssen Köpfe rollen.“

Mit unerwartet positiven Vorschlägen endete der Soziologe: der Mensch solle öfter mal eine Mittagsschläfchen machen, das Zigarettenrauchen nicht vergessen, und „wenn ihr mehr Geld haben wollt, holt es euch doch bei den Reichen“.

Verärgert beschwerte sich ein junger Mann nach dem Vortrag. Darüber, dass Pohrt so schlecht gelesen habe, und überhaupt sei das alles „feuilletonistisches Geschwätz“ gewesen. Er schien tatsächlich eine Antwort (als Dienstleistung für die 5 Euro, die er Eintritt bezahlt hatte) zu erwarten.

Ein anderer fragte, was Pohrt zurzeit lesen würde. „Das darf ich nicht laut sagen.“ Pause. Empfehlen würde er aber das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Buch von Siddhartha Mukherjee „Der König der Krankheiten – Krebs – eine Biografie“.

DETLEF KUHLBRODT