zwischen den rillen
: Heruntergelassene Jalousien

Josephine Foster: „Faithful Fairy Harmony“ (Fire Records/Al!ve)

Die klangliche Nähe von mortality und morality (im Deutschen ist das nicht so schön) war Josephine Foster schon immer bewusst. Ihre professionelle Karriere als Sängerin hat die 43-jährige US-Amerikanerin aus dem Bundesstaat Colorado auf Hochzeiten und Beerdigungen begonnen. Und bis heute ist es diese Zwischenwelt, zwischen Liebe und Tod, über die sie am liebsten singt.

Die Songs auf Josephine Fosters neuem Album „Faithful Fairy Harmony“ sind bevölkert von Engeln, und die Musik klingt seltsam entrückt, als würde sie aus räumlicher oder zeitlicher Distanz, aus unbekannter Quelle zu uns hinüberwehen. Neben dem Kunstlied sind Folk und Country darin als Einflussgrößen hörbar – hätte Andrei Tarkowski einen Western gedreht, Foster hätte eine gute Saloonsängerin abgegeben. Wer das nachvollziehen möchte, der sollte sich gleich mal das Stück „Virgin Of the Snow“ anhören, das auch noch die Zeit außer Kraft setzt: Es dauert, man kann das auch selbst nachmessen, fast sechseinhalb Minuten, dabei wirkt es beim Hören nie länger als ein gewöhnlicher Popsong.

Aber im Ernst: Wer es schafft, sich nicht vom Cover dieses Albums abschrecken zu lassen – die von Foster selbst gestalteten Engelsbilder in Aquarelltechnik sind wirklich zum Davonlaufen und ein Zeugnis des großen Respekts, den das fantastische Londoner Label Fire Records seinen Künstler*innen entgegenbringt – wer diese Hürde nimmt, kann reich belohnt werden.

Aufgenommen hat Foster die Songs erneut mit dem spanischen Gitarristen und Lautenisten Victor Herrero (ihr Ex-Mann) und der isländischen Cellistin Gyða Valtýsdóttir. Mit beiden verbindet Foster eine jahrelange Zusammenarbeit. Nun haben sich auch andere Mitstreiter eingefunden, die bereit und in der Lage waren, Fosters eigensinnigen Weg mitzugehen.

Es wimmelt vor Engeln

Bemerkenswert ist, wie zurückhaltend die Musiker*innen agieren und so perfekt den Tonfall treffen, den Fosters Geschichten zu brauchen scheinen. Sehr schön deutlich wird das im Stück „Lord Of Love“, das mit seinen sieben Minuten allerdings wie eine lange Reise wirkt: Währenddessen führt uns das kleine Ensemble musikalisch durch karge Ebenen und über hohe Berge, ohne großen instrumentalen Aufwand, aber mit perfektem Gefühl für den Moment. Das Stück beginnt mit der Frage, ob man angesichts eines liebenden Gottes etwas zu fürchten habe. Auch hier wimmelt es wieder von Engeln, sie künden von Erlösung, aber auch von Gottes Gleichgültigkeit, während sie am Himmel schweben und selbst Gott lästern.

Man könnte nur zu leicht auch von religiösem bis esoterischem Kitsch reden und könnte an Freak-Folk von Bands wie CocoRosie denken, die Kitsch als Stilmittel für eine neue Art von Pop benutzt haben. Josephine Foster spielt aber in einer anderen Welt. Sie verweigert auch den Begriff Folk für ihre Musik, und bevorzugt die Bezeichnung Folklore. Tatsächlich ist das ihr Reservoir für Inspiration und Material, und Foster bedient sich daran mit großem Ernst, aber sie zeigt auch Humor.

In den Traditionen, hat sie in einem Interview gesagt, verdichte sich das, was für ein Kollektiv an Menschen am Wichtigsten sei. Traditionen seien für sie auch etwas Mysteriöses, weil man sie nie ganz erklären oder in etwas anderes übersetzen könne. Und auch da finden wir wieder eine Zwischenwelt, in der sich Gegenwart und Vergangenheit treffen, sich das Lebendige verbindet mit dem, was einmal war. In Rock Clubs, das hat Foster in einem anderen Interview gesagt, sieht sie eine Verwandtschaft zu Bestattungsinstituten: Beide seien dunkel und trostlos, röchen schlecht, hätten wenige Fenster oder heruntergelassene Jalousien. Und beides sind äußerst reizvolle Orte für sie. Keine Aufenthaltsräume, aber Rückzugsorte für verletzte Seelen. Und verletzte Stimmen, wie die Fosters, die eine klassische Ausbildung hat und heute noch davon träumt, in der Oper zu singen. Die aber gerne singt wie im Stimmbruch und auf ihre Harfe – das klassische Engelsinstrument – auch mal so grob eindrischt wie auf eine billige Flohmarktklampfe.

Glück und Verderben lassen sich in Fosters Musik nicht auseinanderhalten. Wer sich auf diese Welt einlässt, kann großes Glück finden, ins Verderben stürzt einen das Hören sicher nicht. Manch anderer aber, auch damit muss gerechnet werden, wird dieses Album womöglich schnell aus dem Fenster werfen wollen.

Dirk Schneider