berliner szenen
: Pyjamaparty, nur halt ohne Party

Gestern. Ein großes Berliner Krankenhaus, Rettungsstelle, sechs Uhr morgens. Ich bin Ärztin. Das ist so etwas Ähnliches wie Arzt.

Die letzten zwei Stunden habe ich 15 betrunkenen jungen Menschen in Schlafanzügen Infusionen gelegt. „Ihr tragt ja alle so hässliche Schlafanzüge“, lallte einer der Typen, „wärt nicht reingekommen auf meine Pyjamaparty.“ Ganz schön unhöflich, denke ich, aber auch ich war damals entsetzt, als man mir am ersten Arbeitstag die sogenannte Funktionskleidung des Krankenhauses überreichte. Ich war nie ein großer Fan von Arzt­serien, doch dass unsere Funktionskleidung nichts mit den maßgeschneiderten, heißen Outfits in „Grey’s Anatomy“ gemein hatte, sprang selbst mir sofort ins Auge. Funktionskleidung. Ist ein Euphemismus für einen schlecht sitzenden zweiteiligen Schlafanzug. Die Farbkodierung ist klar. Chirurgen tragen Grün, Internisten Weiß und Notfallmediziner Blau. Wer Rosa mag, muss sich beim Reinigungspersonal bewerben.

Da bin ich dann doch froh über meinen blauen Schlafanzug. Immerhin verbringe ich darin praktisch mein gesamtes Leben. Zieht man die zwei Stunden ab, die ich für Anfahrt und Einkaufen benötige, trage ich eigentlich gar kein anderes Kleidungsstück mehr. Das ganze Leben eine Pyjamaparty. Okay, ohne die Party. Inzwischen ziehe ich mich oft nicht mal mehr um. Lohnt sich nicht. Nur mein Freund hat sich neulich über meine blutigen Hosenbeine im Bett beschwert. Passiert aber selten, denn ich schlafe ohnehin fast nie zu Hause. Vielleicht sollte ich mal nachsehen, ob ich überhaupt noch einen Freund habe. Neulich, das war doch letzten Sommer. Und unsere letzte gemeinsame Nacht? Ach ja, das wiederum war erst gestern. Stellte sich heraus, dass er zu der Horde Betrunkener im Schlafanzug gehörte.

Eva Mirasol