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Die Berliner Vehemenz

Zwischen 1980 und 1995 wurden beide Teile der Mauerstadt umgekrempelt. Die schwedische Fotografin Ann-Christine Jansson schaute hin beim Häuserkampf und beim Kampf für Redefreiheit

Von Jörg Sundermeier

Die Fotogalerie Fried­richshain, zwischen Warschauer Brücke, East Side Mall und Berghain gelegen, ist ein wunderbares Überbleibsel aus der DDR – 1985 als kommunale Galerie gegründet, von den Behörden zunächst gegängelt, dann ums Überleben kämpfend, inzwischen eine Institution, dabei noch immer in kommunaler Trägerschaft. Hier werden Fotografien gezeigt, und zugleich wird Fotografiegeschichte erzählt. Und Berlingeschichte.

In der aktuellen Ausstellung „Umbrüche 1980–1995“ werden Fotos von Ann-Christine Jansson gezeigt, die in jenen Jahren, in denen die Galerie gegründet wurde und sich fangen musste, unter anderem für die taz arbeitete. Die Schwedin kam 1980 nach Berlin-West und war überrascht von der Vehemenz, mit der in Berlin gekämpft wurde: verbal, um Wohnraum, aber auch auf der Straße.

Jansson fotografierte die arbeitende Nina Hagen und den leicht müde wirkenden Rio Reiser

Jansson beschloss, sie festzuhalten, diese merkwürdige Mischung aus Kreuzberger Piefigkeit und lautem Lebenswillen, schoss Bilder von Polizisten in Kampfausrüstung und von nackten Demonstranten. So fing sie eine Szenerie ein, die nur in der Mauerstadt gedeihen konnte, zeigte Punks und Hippies, Hausbesetzerinnen mit der Sektflasche im frisch renovierten Bad, kopftuch­tragende Tischtennisspielerinnen, fotografierte den sorgsam auf sorglos gestylten Blixa Bargeld, die arbeitende Nina Hagen, den leicht müde wirkenden Rio Reiser oder die Fahrer eines schwarz glänzenden Mercedes vor knallbuntem Mauerstück.

Fotograf*innen machen die Wirklichkeit sichtbar, indem sie sie bannen. Ann-Christine Jansson tat dies in den achtziger Jahren zumeist auf Schwarz-Weiß-Fotos, weniger aus künstlerischem Kalkül heraus als aus beruflichem Pragmatismus. Einige Streifen, die in der Galerie hängen, dokumentieren, wie Jansson ihre Bilder nach Stockholm übertrug – in einem aufwendigen, dem Faxen ähnlichen Verfahren, jedes Foto mit handschriftlichen ­Kommentaren versehen. Die Bildübertragung dauerte, so erinnert sich Jansson, pro Bild rund 7 Minuten.

Doch während sich Kreuzberg Ende der achtziger Jahre allmählich bequem in seiner Alternativgemütlichkeit einrichtete, zog es Jansson öfter in den Ostteil der Stadt. Sie besuchte jene, die dort für Redefreiheit eintraten, für einen demokratische Sozialismus. Oder das Gegenteil. Bemerkenswert ist etwa das Foto von einer Frau in der Uniform einer Betriebskampfgruppe – mit ihrem Schmuck und ihrer modischen Frisur unter demm Helm strahlt sie nichts Kriegerisches aus.

Solche Alltagsfotos machen Janssons Werk aus – und anders als in ihrem zeitgleich er­schienenen Buch „Umbrüche / Turns“ verdichten sie sich in der kleinen kommunalen Galerie zu einem Panorama – sie zeigen den Wandel Berlins im sich ­wandelnden Deutschland. ­Jansson nutzte nach 1990 vermehrt die Farbfotografie, nun hielt sie junge Nazis in tristen Farben fest, wiedergefundende Wandmalereien von SS-­Schergen oder eine wilde Müllkippe, auf der all jene Motorräder und Kühlschränke verrotten, die plötzlich aus der Mode sind.

Der lachende Bauer aber, der im wiedervereinigten Deutschland seine reiche Kartoffelernte präsentiert, oder die Ostdeutsche, die sich ihren ersten 100-DM-Schein im Geldrausch vor die Stirn klebte – derartige Bilder zeigen einen anderen Lebenswillen als Janssons Fotos der frühen Achtziger. Nun biste nur noch, wennde hast.

Ermattet tritt man daher aus der kleinen Galerie heraus in den Berliner Winter, der das konsumförderliche Orange der Shoppingmall gegenüber nun noch trister wirken lässt, als es eh schon ist. Und weiß zugleich: Es ginge auch anders.

Fotogalerie Friedrichshain, Heslingforser Platz 1. Am 12. Januar, 15 Uhr führt Ann-Christine Jansson durch die Ausstellung. Bis 26. Januar

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