Bockig wie das Blockland

Bremer Landwirte wollen den großen Schritt wagen und vor dem Europäischen Gerichtshof einen Musterprozess gegen „Naturschutz von oben“ anstrengen. Viele halten das für aussichtslos

„Wir sind nicht gegen Naturschutz, nur gegen Bevormundung“

von Kay Müller

Auf dem Weg ins Bremer Umland, dem landschaftlich anmutigen Blockland, sind sie an jeder Ecke zu sehen: die Gräben, in denen der Steinbeisser haust. Ein Fisch, den die Europäische Union (EU) schützen will. Deshalb pocht sie auf Durchsetzung ihrer Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH), die weite Teile des Blocklandes unter besonderen Naturschutz stellt.

Das passt den dortigen Bauern gar nicht. Sie prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht und haben jetzt den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg angerufen. „Wir sind nicht gegen Naturschutz, nur gegen Bevormundung“, sagt der Präsident der Bremischen Landwirtschaftskammer, Hinrich Bavendam. Er ist einer der 40 Kläger, die sich in einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen haben.

Die Landwirte fürchten, dass sie auf ihren Weiden und Äckern, die im FFH-Gebiet liegen, nicht mehr anbauen können, was sie wollen. Grund ist das in der FFH-Richtlinie vorgesehene „Verschlechterungsverbot“. Das heißt: Die Artenvielfalt soll erhalten bleiben. „Die Natur ändert sich immer – egal, ob wir wirtschaften oder nicht“, sagt Bavendam. Er fürchtet zudem, dass seine Scholle an Wert verliert, wenn sie zum FFH-Gebiet wird.

Weil das Land Bremen die Flächen an die EU nur meldet und deshalb ausführend den Naturschutz überwacht, ziehen die Blockländer nach Luxemburg. Außer ihnen haben das bislang nur Bauern aus Nordrhein-Westfalen versucht. „Es geht uns ums Prinzip“. Die EU verordne „einfach Sachen, die keiner nachvollziehen kann – das geht nicht“, meint Bavendam. Die kleinen Betriebe im Blockland sind abhängig von Subventionen für Milch und Ausgleichzahlungen für Naturschutzflächen.

Vor den Verwaltungsgerichten in Bremen hatten die Bauern keinen Erfolg. Für den in FFH-Klagen versierten Kieler Anwalt Tilman Giese ist das kein Argument. Der Ausgang der Klage in Luxemburg sei offen, die Rechtsprechung „fließend“. Er wolle „den Stall ausmisten“, sagt der Jurist, der einen Musterprozess führen will. Gewinnen die Bauern, müsste die Listung von angemeldeten Naturschutzflächen rückgängig gemacht werden – bei allen Bauern, die dagegen Einspruch erhoben haben.

„Die Klage in Luxemburg halte ich für aussichtslos“, sagt hingegen Martin Rode vom Bremer Bund für Umwelt und Naturschutz. Es gebe eine verbindliche Rechtslage, nach der alle Mitgliedsstaaten der EU Flächen gemeldet hätten. Rode wünscht sich, dass die Bauern stärker alternative Wirtschaftsformen prüften. „Das ist das, was wir wollen“, sagt auch Hans-Werner Blank von der Bremer Umweltbehörde.

Blank will weiter über individuelle Verträge mit den Bauern verhandeln. „Da sind wir dabei“, sagt Hinrich Bavendam. Zeitlich begrenzten Schutz gebe es schon bei weit über der Hälfte der Flächen. Es müsse aber Kündigungsrechte geben, wenn ein Landwirt seine Flächen wieder intensiver bewirtschaften wolle.

Bavendam sieht in dem Streit einen gesellschaftlichen Konflikt. Es gehe darum, dass die Bauern zurückgedrängt werden. „Da verändert sich die ganze Kultur“, so der 59-Jährige. Immer mehr Städter kauften Höfe im Blockland. Seine Heimat drohe zum „Schlafdorf“ zu verkommen, in dem sich niemand mehr um Landschaftspflege kümmere. Das würde langfristig auch Touristen vergraulen, die ins Blockland kommen. Und wenn die Bauern nicht Gräben in Ordnung hielten, damit Regenwasser abfließen könne, „haben Fische wie der Steinbeißer ohnehin keine Chance mehr“.