Kommentar Facebook und die Gelbwesten: Gute Revolte, schlechte Revolte
Facebooks Algorithmus soll die Gelbwesten-Proteste angefeuert haben. Das Unternehmen wird nun dafür gescholten – warum eigentlich?
F acebook war’s. Facebook (FB) soll die Gelbwesten-Proteste in Frankreich groß gemacht haben. So ist es zu lesen in Zeitungen, auf Internetseiten, so schreiben es Professoren.
Wer diese These verstehen will, muss zurückblicken auf den Jahresanfang. Im Januar 2018 verkündete FB-Chef Mark Zuckerberg, dass Facebooks Algorithmen künftig stärker auf lokale Nachrichten und Gruppen anspringen sollen. Eine Reaktion auf die Schäbigkeiten in den sozialen Netzwerken, die sich spätestens rund um die Trump-Wahl offenbarten: Desinformation und Polarisierung, Hassrede und Schreiduelle mit Trollen.
Da will eine Plattform, die davon lebt, dass Menschen möglichst viel Zeit auf ihr verbringen, natürlich gegensteuern. Und stattdessen Interaktionen fernab der garstigen Welt motivieren – im hyggeligen Mikrokosmos zwischen Gartenzaun und Kitafest.
Also änderte Facebook. Und verhalf damit, so die Lesart, in Frankreich kleinen lokalen Wut-Grüppchen, die sich etwa zeitgleich formierten, zu jeder Menge Aufmerksamkeit. Denn die wiesen sich häufig explizit durch ihre lokale Zugehörigkeit aus – entweder, indem sie die Nummer ihres Departements bereits im Namen trugen. Oder weil User ihre Posts oft mit dem Kürzel „ptg“ (kurz für: teilen) plus Departement-Kennung garnierten.
Akkordeonspieler und russische Trolle
Auf beides scheinen Facebooks neu lokal ausgerichtete Algorithmen angesprungen zu sein: den Wut-Gruppen wurde laut dieser Erzählung plötzlich jede Menge lokaler Traffic vor die Füße gespült.
Die Bewegung vernetzte sich, unbekannte Normalos vom Maurer bis zur Akkordeonspielerin viralten sich hoch zu Wortführern einer eigentlich führungslosen Bewegung. Livestreams und Meme, Ausbrüche und Videos verbreiteten sich so rasend schnell wie der Ärger – befruchtet womöglich zusätzlich dadurch, dass Facebook emotionalere Inhalte ebenfalls goutiert.
Klassische Medienberichte scheinen Facebooks Maschinen nun weniger offensichtlich in die Newsfeeds zu spülen – und auch russische Trolle sollen übrigens mal wieder die Stimmung mit aufgeheizt haben.
Nicht wirklich neu
Was uns all das sagt? Journalismusprofessor Frederic Filloux schalt Facebook als mittlerweile „gefährlichste Waffe gegen die Demokratie“. Und während die US-Ausgabe von Buzzfeed die Bewegung eine „Bestie, die fast ausschließlich bei Facebook geboren wurde“, nennt, versucht Markus Beckedahl, Chefredakteur von netzpolitik.org, etwas Luft aus der Aufregung abzulassen: Es sei falsch, den sozialen Medien die Schuld an den Protesten in Frankreich zuzuschreiben, sie spielten allenfalls eine Teilrolle, sagte er im Deutschlandfunk.
Nur: Ist das alles im Kern eigentlich neu? Eine dezentrale, ursprünglich führungslose Graswurzel-Bewegung, in der sich die Wut der Bevölkerung den Weg bahnt? Die sich mithilfe sozialer Medien vernetzt, schnell und agil organisiert? Hatten wir schon mal. 2011. Im Arabischen Frühling, der sogenannten Facebook-Revolution. Als das soziale Netzwerk als Werkzeug gesehen wurde, um Freiheit und Demokratie zu verbreiten und alle zusammenzubringen, die dafür kämpfen wollten.
Derartige Hoffnungen auf ein gewinnorientiertes Internetunternehmen zu setzen, wirkt im Rückblick schon fast schmerzhaft naiv. Denn natürlich kam er, der autoritäre Backlash in den Ländern des Arabischen Frühlings. Der Optimismus verkehrte sich ins Gegenteil. Natürlich zeigten sich später, wie Facebook und dessen Business-Kunden Nutzer manipulieren und ausspähen und verpetzen. Wie das Netzwerk Hetzer gewähren lässt, Populismus belohnt.
For the Good, the Bad and the Ugly
Aber natürlich ist es noch komplizierter. Die Occupy-Wallstreet-Proteste und Gezi, Demonstrationen auf dem Maidan, für die Seebrücke und in Ferguson, der Völkermord an den Rohingya in Myanmar, die Wahlkampfmobilisierung von Trump und Duterte – bei all diesen und vielen anderen Ereignissen hat Facebook eine Rolle gespielt. Als Intermediär. Als Plattform, auf der sich Individuen vernetzen konnten. Als Ort, wo mobilisiert wurde. Und manipuliert. Gehetzt. Und informiert. For the Good, the Bad and the Ugly.
Natürlich sind die Softwaresysteme von Facebook nicht neutral. Natürlich haben soziale Medien großen Einfluss auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Und: dass sie so wenig Lust zeigen, die Verantwortung anzunehmen, die aus dieser großen Macht erwächst, ist katastrophal. Klar ist aber auch: Facebook nur dann zu kritisieren, wenn es eine Bewegung groß macht, die man für unerwünscht hält, ist zu schlicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei