Müder Vogel, totes Insekt

Auch die Tiere leiden unter zu viel Licht, schreibt Emlyn Goronczy – und viele Strategien dagegen sind zu wenig differenziert

Von Alexander Diehl

New York City, Boston, Toronto, Warschau und – Hannover: Das sind die Orte, die Emlyn Etienne Goronczy verglichen hat. Nicht in Hinblick auf gerade gespielte Musicals oder die jüngste Mietpreisentwicklung. Nein, um die Lichtverschmutzung geht es: Diese Städte stünden „repräsentativ mit ihren unterschiedlichen Größen und urbanen Strukturen für ähnliche Me­tropolen auf der Welt“, so der studierte Architekt mit Schwerpunkt Lichtplanung.

„Die Leidenschaft zum Kunstlicht hat bewirkt, dass wir uns gegenwärtig in einer Situation befinden, in der die Städte förmlich mit Kunstlicht überflutet werden“, schreibt er. „Erste wissenschaftliche Versuche zeigen, dass die übermäßige Aufhellung der Nacht negative Konsequenzen mit sich bringt“ – für den Menschen, aber längst nicht nur: Im Buch geht es auch um Beeinträchtigungen, unmittelbare wie langfristige, für Insekten und Vögel. Anders als der Mensch seien die Tiere nicht in der Lage, „sich der Lichtverschmutzung zu entziehen“. Mehr noch: Insekten wie Vögel würden von Lichtquellen sogar angezogen – bis zur Erschöpfung oder auch massenhaftem Tod durch Kollisionen. Und ähnlich wie beim Menschen ändert viel Kunstlicht bei Singvögeln das Reproduktionsverhalten.

In einem kurzen Abriss führt der Autor zunächst in die Begrifflichkeiten ein, neben „Lichtverschmutzung“ und „Lichtsmog“ auch noch „Orban sky glow“, „Light trespass“, „Glare“ oder „Clutter“: Nicht nur das absolute Aufkommen an Licht trägt ja bei zur Problematik, manchmal ist es auch schlicht solches, das in die falsche Richtung gestrahlt wird, das also „keinen Zweck erfüllt“.

Neben dem Ist-Zustand interessiert sich Goronczy auch dafür, welche Wege beschritten werden könnten, um dieser „am meisten unterschätzten Umweltverschmutzung“ Herr zu werden. Und da wird es dann überraschend kompliziert: Wo etwa Insekten ein Weniger an bläulichem Licht nützt, brauchen Vögel gerade dieses, um sich zu orientieren. Es geht also immer auch um Kompromisse. Anhand von Warschau spielt er fiktiv durch, wie ein Lösungskonzept aussehen könnte: Reduzierung des „Gesamthelligkeitsniveaus“, unter anderem durch das Entfernen von Lichtquellen; Verbleibende Leuchten müssten umjustiert werden, das Anstrahlen von Werbeflächen verboten, und überhaupt wäre der Austausch der Leuchtmittel gegen „LED-Substitute mit warmweißem Lichtspektrum“ dem Lichtspektrum zuträglich.

An manchen schon ergriffenen Maßnahmen stört Goronczy, der 2016 den Fritz-Schumacher-(Nachwuchs-)Preis der Stadt Hamburg erhielt, dass sie oft zu pauschal seien; „meist gehen diese Lösungen zu Lasten der Architektur oder der Aufenthaltsqualität des urbanen Raumes“ – noch mehr Bedarf an Kompromissen.

Emlyn Etienne Goronczy: „Lichtverschmutzung in Metropolen. Analyse, Auswirkungen und Lösungsansätze“. Springer Vieweg 2018, 166 S., 162 Abb., 70,99 Euro (inkl. E-Book-Download); nur E-Book: 54,99 Euro