: Die Puppen tanzen nicht mehr
Mit dem Ende des Puppentheaters „Hans Wurst Nachfahren“ ist am Winterfeldtplatz eine Epoche zu Ende gegangen. Am Wochenende eröffnet dort das „Feld“, ein neues Theater für Kinder und Erwachsene
Von Susanne Messmer
Zwei Männer fliegen durch einen kleinen dreieckigen Raum, als hätten sie keine Grenzen. Haare werden geschüttelt, der eine springt, der andere fängt, dann kurzes Innehalten – der mit den Haaren erzählt von einer Klassenfahrt in der sechsten Klasse, als er plötzlich beim Diskoabend zu den Letzten auf der Tanzfläche gehörte. Der ohne Haare legt eine Kassette ein. Michael Jacksons „Beat it“ hämmert los, es wird wieder wild. Headbanging inklusive.
Vier Tage vor der Eröffnung des „Feld“ liegen noch überall Kabel herum. 37 Jahre lang wurde die Bühne in der Gleditschstraße 5 am Winterfeldtplatz von den Puppenspielern „Hans Wurst Nachfahren“ bespielt. Jetzt eröffnet das Theater neu, ohne Puppen, mit Schauspielern und Tänzern.
Die beiden Tänzer David Bloom (mit Haaren) und Martin Nachbar (ohne) scheinen die chaotische Atmosphäre ganz produktiv zu finden. Sie erzählen mit viel Lust in ihrer Probe des Stückes „Männer tanzen“, wie sie selbst zum Tanz auf der Bühne kamen. Welchen Spaß sie dabei hatten. Welche Hindernisse sie aber auch nehmen mussten. Es ist ein Stück, das Junge wie Alte interessieren wird, denn es behandelt mit viel Witz die alte, aber trotzdem anhaltend aktuelle Frage: Wie kommen gestandene Männer eigentlich klar in einem mehrheitlich von Frauen aufgesuchten Berufsfeld wie dem der Tänzer? Was macht das mit dem Selbstbild?
„Wir wollten dem Publikum kein fertiges Haus präsentieren“, sagt die Leiterin des Theaters, Gabi dan Droste. „Wir wollten es in die Veränderungsprozesse integrieren.“ Nach der Probe führt sie durch die Räume, die bis zur Eröffnung nur teilweise leer geräumt sein werden. Sie und ihr Team, zu dem auch Martin Nachbar gehört, freuen sich unbändig, das Haus nun betreiben zu dürfen. Zunächst für zwei Jahre, bei guten Evaluierungsergebnissen noch drei weitere.
Die Neueröffnung feiert das Theater von Samstag, 15. Dezember, ab 13.30 Uhr, bis Sonntag, 16. Dezember, ab 11.00 Uhr.
Das reguläre Programm startet am Dienstag, den 18. Dezember. Es richtet sich an Kinder und Erwachsene.
Mit dem Stücken will das Theater gesellschaftliche Diskurse auch für Kinder aufbereiten.
„Das hässliche Entlein“ fragt etwa nach Schönheitsnormen und Beliebtheit. Empfohlen ab einem Alter von vier Jahren.
Im Jahr 2014 war das Haus verkauft worden, seitdem sah es finster aus für das Fortbestehen der Bühne. Der neue Besitzer wollte sich ein privates Tonstudio einrichten. Als eine Bürgerinitiative 16.000 Unterschriften im Kiez für den Erhalt des Theaters zusammensammelte, begann der Senat zu verhandeln. Im Frühjahr allerdings kündigten Siegfried Heinzmann und Barbara Kilian, die Gründer und Betreiber des traditionsreichen Puppentheaters „Hans Wurst Nachfahren“, an, aus Altersgründen aufzuhören. Im Sommer schreib die Senatsverwaltung für Kultur die Stelle öffentlich aus. Eine Fachjury traf schließlich die Entscheidung für die Regisseurin, Dramaturgin und freie Dozentin Gabi dan Droste, die schon seit vielen Jahren mit Tanz und Theater für ein junges Publikum arbeitet.
Man braucht nur einmal in das Programm vom Eröffnungsfest im „Feld“ zu gucken, um zu verstehen, aus welcher Richtung der Wind hier in den nächsten Jahren wehen wird. Neben dem „Männer Theater“ soll es eine Monsterlesung geben, einen Hausparcours, „Prinz Primel“, das als „wilder musikalischer Märchen-Mix“ beschrieben wird, und ein „Heimatbüro“, das die Regisseurin, Schauspielerin und interkulturelle Vermittlerin Chang Nai Wen einrichten will. Die Bürgerinitiative, die 16.000 Unterschriften gesammelt hat, lädt zu einer Kiez-Matinee ein. Für die kulinarische Versorgung sorgt das Start-up „Refueat“, das arabisches Street-Food anbietet. Der Eintritt ist frei.
„Natürlich wird es bei uns auch Figuren- und Objekttheater geben“, sagt dan Droste, „aber eben auch Tanz, Theater, Performance, Musik, Film, Installation.“ Die Theaterleiterin hat von der Kritik gehört, die Schöneberger CDU-Politiker geäußert haben. Die Bezirksstadträtin für Bildung und Kultur, Jutta Kaddatz (CDU), betonte gegenüber dem Tagesspiegel ihre Enttäuschung über die Neubesetzung. Aber auch Puppenspieler zeigten sich skeptisch.
Der Berliner Puppenspieler Peter Waschinsky hat sich wie Droste ebenfalls im Sommer um das Haus beworben. Gegenüber der taz weist er darauf hin, dass die „Hans Wurst Nachfahren“ das einzige Ensemble-Puppentheater der Stadt waren. Nun haben Kinder keine größere Bühne mehr, auf der auch mal mehrere Erwachsene mit Puppen spielen.
Gabi dan Droste hat andere Ziele. „Ich will in den Kiez hineingehen“, sagt sie. Heutzutage sei es gar nicht mehr möglich, sich als Theater nicht an aktuellen gesellschaftlichen Debatten abzuarbeiten. Themen wie Gender und Identität zum Beispiel, aber auch Ökologie. In ihrem Haus spürt man den Aufbruchsgeist.
Vor dem Haus befindet sich ein kleiner, gepflasterter Platz, der sich direkt zum Winterfeldtplatz öffnet. Ein Treffpunkt, wie gemacht für eine Stadtgesellschaft, die sich zunehmend die Köpfe heiß reden muss.
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