LESERINNENBRIEFE
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Finanzkrise ist kein Abgrund

■ betr.: „Linke Lust am Scheitern“ von Robert Misik,taz vom 16. 10. 09

Kluger Artikel. Einer der Hauptfehler der Linken war schon immer, alle Wege zwischen Vision und „Realpolitik“ (die durch ihre Unterwerfung unter wirtschaftliche „Realitäten“ keine Politik mehr ist) als minderwertig zu behandeln – und deshalb kaum Kraft zum Gestalten zu haben. Aber: In dem Beitrag steckt ein nicht akzeptabler Realitätsverlust. Sie kennzeichnen die Finanzkrise einschließlich wegbrechendem Wachstum getreu neoliberal-kapitalistischer Sprachregelung als „Abgrund“. Welch ein Unsinn!

Wenn es ein „Abgrund“ ist, dass die Wirtschaft mit minus sechs Prozent im Jahr 2009 so viel produziert und konsumiert wie etwa vier Jahre zuvor, wie wäre dann der ökologisch unumgängliche Schrumpfungsprozess des Energie- und Stoffumsatzes der Industrieländer auf den etwa der 60er-Jahre (in denen wir gut gelebt haben) zu bezeichnen? Der „Abgrund“, vor dem wir stehen, ist keiner des verschwindenden Geldes. Er findet sich in den täglich einkommenden Meldungen der Klimaforscher, der Biologen etc. Die unselige Gewohnheit, unsere Konstruktionen wirtschaftlicher Natur als „Realität“ zu bezeichnen und auf ihren System-bedingten „Zusammenbruch“ panisch zu reagieren, verstellt uns den Blick darauf, dass just jene Konjunktur, das exponentielle Wachstum also des Natur- und Rohstoffverschleißes, des Artensterbens, Müllaufkommens, einschließlich CO2, das Problem ist, das unsere physikalischen und biologischen Lebensvoraussetzungen zerstört und die Menschheit damit in der Tat global an den Abgrund bringt. In dem befinden sich die über eine Milliarde Hungernden schon jetzt. Ursache ist nicht das fehlende Geld, sondern die Zerstörung regionaler Landwirtschaften, die Erosion der Böden, die Dürre, die Überfischung durch industrialisierte Raubfischerei. Das ist dann leider auch durch Geld, wie viel auch immer „investiert“ wird, nicht zu reparieren.

WOLFGANG NEEF, Vorsitzender d. Naturwissenschaftler-Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit, Berlin

Es steht viel auf dem Spiel

■ betr.: „Klima-Demos unerwünscht“ u. a., taz vom 21. 10. 09

Wenn Klima-Aktivisten wegen einer Sitzblockade ins Gefängnis müssen, so sollte der dänische Gesetzgeber sich die Sache noch einmal überlegen. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit wird verletzt, denn der Demonstrant steht für eine gute und sehr wichtige Sache ein: den Schutz des Klimas, eine existenzielle Frage der Menschheit, die man mit polizeilicher oder staatlicher Gewalt bestimmt nicht in den Griff bekommt. Bei der Konferenz in Kopenhagen steht viel auf dem Spiel, es geht letztlich um die Entwicklung und Zukunft junger Menschen. Die bisher in Bonn und Bangkok ausgehandelten Ergebnisse sind völlig unzureichend, insoweit wird das Ganze jetzt zum „Kampf ums Klima“. Die Öffentlichkeit, jeder hat ein Recht sich zu artikulieren, wenn es sein muss auch mit einer „friedlichen Sitzblockade“. Wie sonst? CHRISTIAN LUKNER, Bonn

In falsche Richtung geguckt

■ betr.: „Klima-Demos unerwünscht“, „Ablenken vom eigenen Versagen“, taz vom 21. 10. 09

Wenn die Politik nicht handelt, ist die Klimabewegung gefragt. Und wenn die Politiker den Ernst der Lage nicht erkennen und sich wieder nur halbherzig, verantwortungslos und dreist aus der Affäre ziehen wollen, „sollen die Lümmel etwas auf die Nase bekommen, dass es ihnen wehtut“. Bußgelder und Freiheitsstrafen sind gefordert. Der Elan der dänischen Regierung stimmt. Nur die Richtung, in die sie schaut, ist die falsche. GERHARD RUDOLF, Bad Homburg

Zeit totschlagen

■ betr.: „Spaß mit Nebenwirkungen“, taz vom 20. 10. 09

Ich lese in euren artikeln immer wieder, dass ihr face-book u. ä. foren als „soziale netzwerke“ bezeichnet. ich verstehe unter einem sozialen netzwerk einen zusammenschluss von menschen, die etwas tun für ein bestimmtes soziales ziel. etwa eine nachbarschaftshilfe, naturschutz, abbau von ausgrenzung oder gewalt und dergleichen.

diese foren allerdings sind offensichtlich nur dazu da, um zeit totzuschlagen, virtuelle (also nicht vorhandene) freundschaften zu pflegen und sich selbst teilweise bis in die intimsphäre zu entblößen. man denkt, man nimmt teil an der welt, ist mit allen verbunden, kann etwas bewegen, ist nicht allein. so verbringt man einen großteil seiner freizeit und versäumt dabei, mit echten menschen in kontakt zu sein, an echten problemen ganz wirklich etwas zu verändern, und so kommt es, dass die menschen immer kontaktunfähiger werden und den faden zur realität verlieren.

es geht nicht darum, dass unsere kinder mit mehr datenschutz gesichert ihre zeit und kreativität totschlagen sollen und verlernen, wie man im wirklichen leben mit wirklichen menschen und echten problemen umgeht! ELKE GRÖZINGER, Wunstorf

Auf Badbanks folgt Badhaushalt

■ betr.: „Kritik am Schattenhaushalt“, taz vom 22. 10. 09

Jetzt gibt es nicht nur die Badbank, sondern auch den Badhaushalt. Die politischen Informationen zu lesen, macht derzeit keine gute Laune. Wer eine niedrige Rente hat, wird bei diesen Zukunftsaussichten keine Freudensprünge machen. Unsere Politiker sind weiter denn je von der Wählerschaft entfernt. INGRID PÜTZ, Baunatal