„Zweijährige gelten als Hosenscheißer“

GEW-Vorstand Hocke fordert mehr Respekt für Kita-Kinder. Das hieße, Betreuung und Bildung zu verbinden

taz: Herr Hocke, in dem heute erscheinenden Jugendbericht fordern Experten die Kita ab dem zweiten Lebensjahr – und zugleich eine Hochschulausbildung für ErzieherInnen. Welchen Sinn macht ein Diplom zum Windelwechseln?

Norbert Hocke: In Deutschland kann man sich das nicht vorstellen, dass auch zweijährige Kinder neugierig und kreativ sind. Die gelten als Hosenscheißer, für die eine Aufbewahrung reicht. Obwohl Hirnforscher zeigen, dass im Alter zwischen 0 und 5 Jahren die prägende Lernphase schlechthin liegt. Wenn wir Betreuung und Bildung wollen, dann müssen Erzieher mit den kleinen klugen Köpfen was anfangen können.

Und die Fachschulausbildung reicht dafür nicht?

Nicht mehr. Der Erzieherberuf ist zu anspruchsvoll geworden. Das können Fachhochschulen besser. Damit würde der Job auch für Männer attraktiver.

Aber sind Kita-Probleme nicht banaler: Bastelzeug kaufen, verrotzte Nasen putzen, die KollegInnen vertreten?

Ja, das ist der Alltag. Wenn wir wegwollen von der Pädagogik, die nur Frühling, Sommer, Herbst und Winter zum Inhalt hat, müssen wir zweierlei tun: die ErzieherInnen erstens fit machen für Kernthemen wie Aktivitäten in Projekten, Spracherziehung und selbstständiges Lernen. Und zweitens den europäischen Betreuungsschlüssel von 3 Pädagoginnen je 15 Kindern erreichen.

Und wer soll das bezahlen?

Das ist gar nicht so teuer, wie man denkt. Wollte man aus dem Stand alle ErzieherInnen studienadäquat bezahlen, würde das Deutschland 3 bis 4 Milliarden Euro mehr kosten – theoretisch. In Wahrheit aber würden studierte ErzieherInnen ja nur sukzessive in die Kitas kommen. Zudem sinkt die Zahl der Kinder, das heißt: Das höhere Niveau der Erzieher ist in der Praxis kostenneutral zu haben.

Die Regierung ist von der Studierempfehlung ihrer Experten nicht begeistert.

Das ist mir ein Rätsel. Die Regierung verweist darauf, dass Studien aus den USA keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Erzieherstudium und Lernqualität belegen. Wir ziehen aus schwedischen Langzeituntersuchungen ganz andere Schlüsse: Gute Ausbildung zahlt sich aus. Investitionen in kleine Köpfe rentieren sich doppelt – für die Kinder und für die Volkswirtschaft. INTERVIEW: CIF