: Die Demokratie Google
FREIHEIT IM NETZ Ständig optimiert Google seine Algorithmen, ein in Brasilien umstrittenes Video will der Konzern aber nicht sperren. Dass er nun verklagt wird, ist nur konsequent
VON FALK LÜKE
Ein brasilianisches Gericht will den Google-Landeschef für ein angeblich verleumderisches Video über einen Politiker haftbar machen, weil Google es nicht von seiner Video-Plattform YouTube verbannt hat. Ex-First-Lady Bettina Wulff möchte bestimmte Worte nicht mehr mit der Suche nach ihrem Namen verbunden wissen. Der Suchmaschinen- und Werbekonzern sagt: Wir liefern nur Technik, für die Inhalte sind die Nutzer verantwortlich – vor den Algorithmen seien alle gleich. Stimmt das?
Googles Suchmaschine benutzt fast jeder deutsche Internetnutzer als Standard für seine Suchanfragen. Das Prinzip: Google schickt kleine Programme los, die sich von Link zu Link quer durch das Internet hangeln und in riesigen Datenbanken hinterlegen, was sie gefunden haben. Wenn ein Nutzer per Google etwas sucht, wird geschaut, was zu dieser Suchanfrage passen könnte. Was das ist, bestimmt Googles eigene Logik: Algorithmen, anhand derer die Datenbankabfragen durchgeführt werden. Genau hierin steckt auch Googles Stärke – möglichst relevante Treffer zu produzieren. Wie diese Algorithmen genau aussehen, verrät Google niemandem. Manchmal landen Seiten, die vorher in Suchergebnissen vorne auftauchten, plötzlich weiter hinten. Google ist der Suchschlitz, dessen Ergebnisse unsere Wahrnehmung der Welt maßgeblich beeinflussen. Doch ist er auch neutral?
Googles Logik wurde seit der Gründung schnell besser: immer mehr Faktoren wurden in die Logik eingebaut. Worauf haben Nutzer geklickt? Menschliche Interaktion ist ein Faktor, den Google auswertet. Versuchen Websites, Googles Logik unzulässig auszunutzen? Spammer werden von Google schlechter bewertet. Hat sich der Nutzer vertippt? Google bietet die vermutlich gemeinte Alternative an. Wer nach einem Wort gesucht hat, meinte vielleicht wie andere Nutzer auch ein zweites – Google schlägt dies dann vor, wie bei Bettina Wulff.
Google schraubt immer wieder an seinen Algorithmen. So wurden 2012 auch Copyright-Verstöße als Faktor für die Gewichtung von Ergebnissen eingeführt. Und in Tools wie GoogleInsights, mit dem man die Trends der Suchabfragen nachschauen kann, gibt es Sperrlisten für Worte beispielsweise aus dem Bereich des Jugendschutzes. Vor Gericht sind in Demokratien in der Theorie alle gleich – vor Googles Algorithmen sind alle so gleich, wie Google es für richtig hält. Und das vor allem aus einem Interesse: ungestört den eigenen Geschäften nachgehen zu können. Google selbst betonte lange, dass man nicht Polizei, Staatsanwalt und Richter zugleich sein wolle. Das ist die alte Grundidee, die in Europa auch gesetzlich fixiert ist: Anbieter von Leistungen und Speicherplatz im Netz sind nicht haftbar für das, was ihre Nutzer treiben.
Entsprechend wies Google jede Verantwortung für Suchtreffer stets von sich. Doch diese Position hat die Firma durch ihre vielfältigen Eingriffe selbst aufgeweicht. Das Gerichtsurteil aus São Paulo, gegen das Google Berufung angekündigt hat, ist die Konsequenz dieses Schlingerkurses: Wenn Google doch immer wieder in das eingreift, was die Nutzer zu sehen bekommen, warum sollte es dann nicht bei einem umstrittenen Video genauso eingreifen können?
Die Frage ist: Wohin führt diese Idee? Google wird auch weiterhin auf den kostengünstigsten Weg setzen. Der könnte am Ende heißen: alles sperren, was irgendwie Ärger bedeuten könnte. Und damit stünde eine der größten Errungenschaften des Netzes in Frage.
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