Wohnen für Fortgeschrittene

JUNG UND ALT Mehrgenerationen-Häuser sind eine Alternative zur Einsamkeit im Altenheim. Weil das Aufeinandertreffen der Generationen aber auch Konflikte birgt, nutzen nur wenige solche Projekte

Vor allem alleinstehende Frauen über 50 sind am Gemeinschaftswohnen interessiert

VON JUSTIN PIETSCH

Rund 420.000 Menschen in Hamburg, also gut ein Fünftel der Bevölkerung, sind älter als 60 Jahre. Die Frage nach der Wohnform wird in diesem Lebensabschnitt immer wichtiger. Eine Alternative zur Einsamkeit im Altenheim oder zur Anonymität im Mietshaus ist das Gemeinschaftliche Wohnen: Ältere Menschen wohnen dabei gemeinsam mit Studenten und jungen Familien in einem Mehrfamilienhaus, jeder in seiner eigenen Wohnung. Die jungen und alten Nachbarn begegnen sich im Treppenhaus oder treffen sich auf einen Kaffee. Jeder wird eingebunden in das tägliche Leben, deshalb fühlt sich niemand abgeschoben, sondern integriert. Ist das etwa die perfekte Wohnform fürs Alter? Vielleicht ist das gemeinschaftliche Wohnen die Lösung für Probleme des demographischen Wandels.

„Man sollte nicht nur ein romantisches Bild vom gemeinschaftlichen Wohnen haben“, sagt Silke Lüders, Sprecherin der Fachgruppe „Wohnen im Alter“ des Landesseniorenbeirats Hamburg. Schließlich sei diese Art des Wohnens kein Selbstgänger, sondern eine große Herausforderung. So müssen sich die Bewohner auf andere Menschen einlassen können. „Man muss sich auch selbst hinterfragen: Was sind meine Schwächen? Und was mag ich an anderen Menschen?“, sagt Lüders.

Es gibt es zwar Projekte, bei denen ältere Menschen gemeinsam mit Familien, Kindern und vielleicht auch Studenten gemeinsam ein Mehrfamilienhaus bewohnen. „Tatsächlich passiert das aber eher selten“, sagt Reiner Schendel, Geschäftsführer des alternativen Bauträgers Stattbau, der bereits mehrere Generationen übergreifende Projekte ins Leben gerufen hat.

Vor allem alleinstehende Frauen über 50, die nicht irgendwann einsam im Altenheim leben wollen, seien am Gemeinschaftswohnen interessiert. „Aber meist ist es Zufall, wer sich zusammen findet“, sagt Schendel. Wenn das Wohnen mit mehreren Generationen in einem Haus funktioniert, sei das natürlich wunderbar. Doch für die Älteren sei das dann oft anstrengend, weil sie etwa nicht auf den Lärm eingestellt sind, den Kinder machen.

Die Zahl derer, die den Schritt in ein Leben mit mehreren Generationen wagen, ist deshalb wohl noch gering. Der Hamburger Sozialbehörde zufolge leben derzeit lediglich 721 Menschen in 14 genossenschaftlichen Mehrfamilienhäusern. Hinzu kommen individuelle Wohngemeinschaften, die von der Statistik nicht erfasst werden. Außerdem sind in der Vergangenheit fünf Mehrgenerationenhäuser unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung in Hamburg errichtet worden.

Weil die Nachfrage nach Mehrfamilienhäusern für Jung und Alt derzeit noch stagniert, beschränken Wohnbau-Unternehmen wie die städtische Saga GWG ihr Angebot auf Wohnungen in Wohnheimen. Der Wohnungsmarkt für ältere Menschen sei zwar ein „Wachstumsmarkt“, sagt Saga-Sprecher Carl Mario Spitzmüller. „Aber ältere Menschen haben gerne ihren eigenen Bereich und ihre Ruhe.“ Darum bietet die Saga 2.300 Wohnungen in 22 Wohnanlagen an, für Menschen ab 60 Jahren. In Gemeinschaftsräumen können die Bewohner sich dann treffen. Beim Zusammenleben mit jungen Leuten gebe es dagegen immer wieder Probleme, diese müssten sich sehr zusammennehmen, hätten einen ganz anderen Tagesrhythmus. „Das klappt nicht gut“, sagt Spitzmüller.

Doch es gibt auch andere Möglichkeiten des gemeinschaftlichen Lebens im Alter. Die Mittsechzigerin Helgard Anders etwa wohnt in einem Mehrfamilienhaus mit zwölf weiteren Frauen gleichen Alters. Dort fühle sie sich sehr wohl, man treffe sich regelmäßig im Gemeinschaftsraum und habe eine gut funktionierende Gemeinschaft. In der Nachbarschaft leben auch jüngere Menschen, darunter viele Familien. „Aber wenn es da mal Probleme gibt, dann werden die ganz nachbarschaftlich geklärt“, sagt sie. „Und wenn man das nicht will, sollte man sich besser eine anonyme Mietwohnung suchen.“

Es klappt also durchaus, das gemeinschaftliche Wohnen, wenn man offen und kompromissbereit ist. „Aber das ist kein Allheilmittel gegen Einsamkeit“, warnt Stattbau-Geschäftsführer Schendel vor überzogenen Erwartungen.