Bau einen Klon von Carlos Fuentes

IRONIE César Aira, argentinischer Autor und Gast des DAAD, stellte am Mittwoch sein neues Buch „Der Literaturkongress“ vor. Er verwirrte die Zuhörer im überhitzten Münzsalon gehörig

„Romane schreiben ist anachronistisch“, sagt César Aira

Eine winzige Klonwespe schwirrt auf einem Schriftstellertreffen in einer Andenstadt herum. Ihr Auftrag besteht darin, eine Zelle des mexikanischen Romanciers Carlos Fuentes zu erbeuten. Das ist vielleicht die skurrilste Szene in dem von César Aira 1997 verfassten, jetzt auf Deutsch erschienenen Roman „Der Literaturkongress“, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

Die Restwärme des Sommers, die unerwartet über Mitte schwappte, machte am Mittwochabend auch vor dem Münzsalon nicht halt. Der überhitzte Saal war gerammelt voll. Das überraschte auch die Moderatorin Katharina Döbler, die César Aira, der auf Einladung des DAAD zwei Monate in der Stadt weilt, erst einen „Geheimtipp“ nannte und dann hinzufügte: „Für viele Leute.“

In seiner argentinischen Heimat ist der 1949 in Coronel Pringles (einem Kaff im Süden der Provinz Buenos Aires) geborene Aira so etwas wie ein Kultautor: Entweder liebt man ihn, oder man hasst seine Werke. Letztere sind meist dankbar kurz. Selten sind sie mehr als 100 Seiten lang, und doch haben sie es in sich: Aira, der sich am Anfang seiner Karriere den Lebensunterhalt mit Übersetzungen verdiente, liebt es, die Erwartungen des Lesers zu unterminieren. Die Logik wird dehnbar, er neigt zu Abschweifungen, in denen er wie in einem Essay Gedanken entwickelt und wieder verwirft. Seine Bücher sind keine Romane („Romane schreiben ist anachronistisch“), sondern wie er selbst sagt, „eine Art surrealistische Märchen“. Dabei ist Aira äußerst produktiv: Auf die Frage, wie viele Bücher er schon veröffentlicht habe, wusste er nur eine ungefähre Antwort. Um die 80. Wobei er, räuspert er sich, vieles von dem, was er geschrieben habe, heute bereue.

Hinter dicken Gläsern

Spätestens an dieser Stelle der Veranstaltung beschlich einen das Gefühl, dass sich César Aira als Schriftsteller nicht so ernst nimmt. Dass er es liebt, das Schriftstellersein und alles, was dazugehört, Lesungen, Interviews, Podiumsgespräche und Kritiken, ironisch zu brechen. Man weiß allerdings nicht, warum. Ob ihm das Ganze nur lästig ist oder ob er grundlegende Vorbehalte hegt. Ins Publikum blickt er jedenfalls selten, er verschanzt sich hinter seinen dicken Brillengläsern und den dünnen Büchern. Die Nachfragen der Moderatorin und später des Publikums parierte er mit gut Abgehangenem: „Die Literatur ist der Ort, wo wir uns alles erlauben können – wo sonst?“

In seiner generellen Fehlamplatzigkeit ist Aira aber genial. Er hat eine Strategie gefunden, diese ganze peinliche Situation des Auf-der-Bühne-Seins zu überspielen, indem er den schüchternen Schriftsteller mimt und dabei – vermutlich um sich selbst nicht zu langweilen – ins leicht Warholhafte abgleitet. Hach, meine Antwort mag ihnen frívolo, oberflächlich, vorkommen, räumt er dann, mehr kokettierend als entschuldigend, ein. Als Fußnote sei hier gesagt, dass es angesichts seiner Performance wenig verwundert, dass sein Erzähler, der natürlich auch César heißt, die Weltherrschaft mithilfe der Klonierung von Carlos Fuentes anstrebt. Der jüngst verstorbene Schriftsteller war in seinem charismatischen Auftreten vielleicht das genaue Gegenteil des ironischen Aira – Fußnote Ende.

Jedenfalls verwirrte César Aira das Berliner Publikum so sehr, dass auch bei den komischsten Stellen der Lesung seines Buches kaum gelacht wurde. Auch im Nachgang zur Veranstaltung in einer unweit gelegenen Tapasbar war man sich nicht über den Abend einig. Aira sei ein Schriftstellerdarsteller, meinte einer, der mal als Literaturprofessor gearbeitet hatte. Aira, der erste Spamautor, so viel wie der schreibe, sagte ein anderer. Ich möchte einen Klon von ihm, hörte ich eine junge Frau sagen. Ich vernahm die Urteile, Aira sei „ein Genie vor dem Herrn“ oder „einfach nur Schrott“. Dann sprang ich in die S-Bahn nach Teltow.

TIMO BERGER