Kritische Anteilnahme

AUSSTELLUNG Eine Handvoll Fotografen gründet ein temporäres Autorengalerienkollektiv und setzt sich auf unterschiedliche Weise mit Bremens Architektur auseinander

VON JAN ZIER

Wenn es um künstlerisch ambitionierte Fotografie geht, dann ist Bremen ja noch immer eher provinziell. In den größeren Häusern, in denen hier zeitgenössische Kunst stattfindet, kommt Fotografie kaum vor. Zwar gibt es den Zusammenschluss „Fotokunstbremen“, der sich seit einiger Zeit redlich müht – ihm mangelt es aber in jeder Hinsicht an Kapazitäten. Und die Zeiten des „Fotoforums“, vormals im jetzigen Paula-Modersohn-Becker-Haus beheimatet, sind ja schon seit 1992 vorbei. Jetzt gibt es bis Jahresende, ein paar Meter weiter, einen neuen Ausstellungsort.

In der unrenovierten, bislang unzugänglichen Kantine des ehemaligen Casinos in der Böttcherstraße nämlich ist das Projekt „Stadt Raum Detail“ der „Fotoetage“ angesiedelt. Die wiederum ist ein Zusammenschluss aus fünf Fotografen, die sonst mit Anspruch, aber eben vor allem für Magazine und Unternehmen arbeiten (manchmal aber auch noch für die taz). Andererseits sind zwei von ihnen, Kay Michalak und Nikolai Wolff, ja in der Bremer Hochschule für Künste (HfK) groß geworden, „im Herzen“ also, wie Wolff sagt, näher an der Kunst als am Kommerz. „Wir wollen hier aber nicht nur uns selbst abfeiern“, sagen die beiden Projektleiter, weswegen sie nicht nur zwei ihrer Kollegen aus der Fotoetage, Alasdair Jardine und Michael Jungblut, sondern auch drei befreundete Fotografen eingeladen haben, Caspar Sessler, Cindi Jacobs und Julian Kruel, die noch an der HfK sind.

Alle zusammen fotografieren sie die Architektur Bremens – und haben das Thema stets seriell, doch in sehr unterschiedlicher Weise umgesetzt. Ihre Ästhetik ist dabei weit weg von der sattsam bekannten Postkartenidylle, die „Bremen“-Bildbände gerne zeigen. Insofern ist diese Ausstellung keine traditionelle Liebeserklärung für jene Touristen, die unten entlang schlendern. „Aber auch keine starke Kritik“, sagt Jardine. „Wir hätten es nicht gemacht, wenn uns Bremen nicht interessieren würde“, sagt Michalak. Es ist also eher eine kritische Anteilnahme an Bremen, die diese Ausstellung prägt. „Ist das Dokumentation oder Kunst?“, fragt manch einer – doch schon die Frage, also: die Gegenüberstellung lassen die Fotografen nicht gelten. Es ist beides.

Da ist zum Beispiel Michalaks liebenswert puristische Serie über die Hochstraße, bestehend aus drei groß- und drei kleinformatigen Arbeiten. Autos kommen auf ihnen praktisch nicht vor. „Angewiedert“, sagt der Fotograf, sei er von der Dominanz des Individualverkehrs, die jenes Bauwerk repräsentiert. Aber eben auch „schwer beeindruckt“ von seiner Architektur. Und: „Ist es nicht unglaublich, dass Menschen sowas bauen können?“

Gleich gegenüber hängt eine Serie mit Schwarz-Weiß-Bildern von Michael Jungblut, die „Paris – Walle“ heißt und mit wunderbar feiner Ironie auf die Zwanziger Jahre anspielt, auf Gangsterfilme, die Fotogeschichte vergangener Tage. Es ist die einzige Serie, auf der überhaupt Menschen vorkommen, wohl, weil die Leute aus der Fotoetage ja sonst Dienstleister sind, viele Porträts machen. Diese Form der Stille also mal sehr zu schätzen wissen.

Von Jacobs stammt eine Serie über Kaisenhäuser – jene leider aussterbende Wohnkultur, die nach dem Krieg, zunächst aus der Not heraus, in den Parzellengebieten entstand. Heute dürfen dort nur noch jene wohnen, die schon Anfang der Siebziger dort lebten. Nach dem Tod der BewohnerInnen sind die Häuser dem Abriss preisgegeben.

Dem gegenüber gestellt hat Wolff eine Fotoserie über vier Kirchenbauten von Carsten Schröck, die zwischen 1956 und 1971 entstanden. Sie ist einerseits sehr dokumentarisch, sie feiert den Architekten, ist aber auch Ausdruck einer sehr persönlichen Begegnung mit dem Ort. Und sie zeigt auch, wie etwa Jardines Serie „200 yards“, die „Brillanten der Ödnis“, wie Wolff sie nennt. Immer wieder feiern die Fotografien hier auch das Abgerockte, Hässliche. Manchmal sind sie dabei etwas konzeptkunstlastig.

Bremerhaven kommt hier übrigens gar nicht vor, aber das Projekt, auch das sieht man der Ausstellung an, ist noch nicht fertig. Bis Jahresende kommen weitere Ausstellungen, und dann, vielleicht, auch noch ein Bildband.

Bis 6. Oktober, Böttcherstraße 3, Eingang Chateau, Haus St. Petrus, jeweils Donnerstag bis Sonntag, 16–20 Uhr. Am heutigen Samstag gibt’s ab 21 Uhr Deep-Disco, House, Poly-Techno vom „Sexsoundsystem“. Am kommenden Samstag spielt ab 20 das Boreas-Quartett.