Ausgehen und rumstehen von Aleksandar Zivanovic
: Wo ist der Schädel von Friedrich Wilhelm Murnau?

Irgendwer ist im Sommer 2015 in den Südwestfriedhof in Stahnsdorf eingebrochen und dann zum Grabmal des bekannten Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau gelaufen. Irgendwer hat dort zunächst die Tür der Gruft, dann den Sarg aufgebrochen und anschließend den einbalsamierten Schädel des Nosferatu-Filmregisseurs geklaut. Die Gräber seiner beiden Brüder, die in der gleichen Gruft begraben liegen, wurden hingegen nicht angerührt. Wachsspuren wurden gefunden, Reste einer schwarzen Messe? Wer hat Murnaus Schädel geklaut? Und wo befindet sich der Schädel jetzt?

Bis heute ist der Murnau-Kopf nicht aufgetaucht, die Staatsanwaltschaft in Potsdam hat im vergangenen Jahr den Fall sogar eingestellt. Wir aber bleiben in dieser Angelegenheit nicht untätig und haben unsere Recherchen am vergangenen Wochenende weiter intensiviert: Am Samstagabend beispielsweise, kurz vor 0 Uhr, da haben sie im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg Platz Murnaus Stummfilm „Phantom“ (1922) gezeigt, live begleitet durch die ausgezeichnete Orgelspielerin Anna Vavilkina – selbstverständlich sind wir dorthin ausgerückt, eine gute Möglichkeit sich in der Szene umzuschauen. Es ist ein ganz besonderes Erlebnis einen Stummfilm in einem Kino anzuschauen, das 1929 speziell für diesen Zweck gebaut wurde, mit dem Klang der restaurierten Originalorgel, eine Verlockung für Murnau-Liebhaber. Wer weiß, vielleicht taucht hier möglicherweise der Murnau-Fan auf, der den Schädel zu Hause in seiner Vitrine ausgestellt hat?

Etwa 150 Menschen sind zur Spätaufführung erschienen, allesamt zwischen 25-60 Jahre alt. Niemand verhält sich in irgendeiner Art und Weise auffällig, niemand flüstert uns etwas über Murnau-Schädel-Partys zu. Der Film dauert insgesamt 117 Minuten. Um es kurz zu machen: In dem Film geht es um unerfüllte Liebe, Betrügereien, Besäufnisse, angespannte Familienverhältnisse, um Norm und Abweichung und andere Dinge. Es geht auch um die Tagträume des stets melancholisch dreinschauenden Hauptprotagonisten, in denen er entweder wie ein aufgescheuchtes Zombie einer weißen Geisterkutsche hinterherläuft, oder aber selbst von derselben Kutsche über die Straße gejagt und manchmal ziemlich fies überfahren wird – es ist sein Trauma. Diese Traumsequenzen werden durch Überbelichtungseffekte ein- und ausgeblendet. Durch das durchgehend begleitende und rhythmische Orgelspiel kann es durchaus passieren, dass man hin und wieder eingelullt wird, die Augenlider langsam zufallen und einen der Kurz-Schlummer heimsucht. Irgendwann jedenfalls bin ich mir nicht mehr so ganz sicher ob das jetzt die Tagträume und Erinnerungen des Hauptprotagonisten sind oder aber … keine Ahnung, ich weiß es jetzt auch nicht mehr. Der große Abschlussapplaus jedenfalls gilt auch der sympathischen Orgelspielerin. Unsere Ausgehen und Rumstehen Vorort-Recherche am Samstag hat folgendes ergeben: Wir sind uns sicher, dass der Schädeldieb nicht da war. Als wir das Kino verlassen, sind die Straßen leer und es weht ein kühler Wind.