Ein ganz tolles Hobby

LITERATUR Isabel Allende stellt ihr 19. Werk „Mayas Tagebuch“ vor, und der Suhrkamp Verlag schippert dazu mit ihr und Gästen über die Spree

Es gebe ja viele Gefahren heute, allein die ganze Pornografie

Am Ende gibt Isabel Allende ihren Zuhörern einen Rat: „Wenn Sie jemals nach Chile reisen, fahren Sie auf die Insel Chiloé. Ein magischer Ort!“ Die „MS Belvedere“ gleitet durch die nächtliche Stadt, hier und da leuchtet etwas Buntes auf, das Grill Royal oder die Bundestagskantine. Von einem Restaurantschiff aus betrachtet wirkt Berlin eher gepflegt als aufregend, aber auch Chiloé ist ja nicht wirklich magisch. Dazu später.

Isabel Allende, chilenisch-kalifornische Großschriftstellerin, tourt gerade für ihr 19. Werk, „Mayas Tagebuch“, die Erzählung einer jungen Kalifornierin, die in Drogengeschäfte verwickelt wird, vor Killern in die Heimat ihrer chilenischen Großmutter flieht und zu sich selbst findet. Am Vorabend durfte die Autorin das Buch im Babylon Mitte präsentieren, nun hat er Suhrkamp Verlag zu einem intimen Autorengespräch auf der Spree eingeladen. Anschließend gibt es ein Büfett, nichts Großes, Lachs und Flusskrebse und guten Käse.

Allende, die gerade 70 geworden ist, aber schon aufgrund ihrer Körpergröße wohl nie als „große alte Dame des lateinamerikanischen Romans“ gelten wird, hat ihren Mann Willie und einige ihrer Kinder mitgebracht. Suhrkamp-Lektor Frank Wegner, der in weichem Englisch durch den Abend führt, adoptiert den Rest gleich hinzu: „In gewisser Weise sind wir ja alle eine Familie von Lesern Ihrer Bücher.“

Ob sich Deutschland sehr verändert habe, will Wegner wissen – eine Frage, die sich Allende selbst vermutlich nie stellen würde. Sie antwortet artig, Berlin sei heute ganz anders, sie habe ja noch das alte Ostberlin kennengelernt, das wie ein Schwarz-Weiß-Film aussah. Ob wir Deutschen uns verändert hätten, hakt Wegner nach. „Für mich sind die Deutschen immer gleich geblieben“, sagt Allende, „seit einer unserer Präsidenten sie 1860 nach Chile gelockt hat, um die Rasse zu verbessern.“ Das meint sie ironisch, aber niemand lacht.

So geht das dahin. Die bezaubernde Maren Eggert, einst Kieler „Tatort“-Ermittlerin, jetzt am Deutschen Theater, liest Passagen vor, leider zu schnell und verhaspelt. Ist sie aufgeregt, weil auch sie ein Fan ist, ein Teil der Familie? Um Familie geht es auch in „Mayas Tagebuch“, um den Trost, den Großeltern jungen Menschen spenden können, die vom Weg abkommen sind, es gibt ja viele Gefahren heute, sagt Allende, allein die ganze Pornografie und Gewalt im Internet.

Das klingt etwas altbacken, und wie um das zu kompensieren, lässt die 70-Jährige gerne mal schmutzige Worte fallen, bitches oder shit oder fuck. Etwa wenn sie erklärt, dass, schriebe sie jemals einen Science-Fiction-Roman, die Welt darin von Frauen regiert würde, und, sollten die Männer doch in den Krieg ziehen wollen, we would simply go and fuck them and afterwards we’d smoke a lot of pot together. Das ist dann in seiner Simplizität irgendwie richtig komisch.

Anders komisch (oder auch nicht) ist die Tatsache, dass „Mayas Tagebuch“ gar nicht wie das Tagebuch einer jungen US-Amerikanerin mit Drogenproblemen klingt, sondern wie ein Isabel-Allende-Roman. „Ihre offenen Haare fielen wie Gischt auf ihre Schultern“, liest Maren Eggert. Blumige Wortwahl, geschraubte Sätze, und die Figuren sind immer ganz besonders skurril oder ganz besonders liebenswert.

Und als die Autorin mit großen Augen erklärt, wie sie Romane schreibt, einen nach dem anderen, bis die Verlage nicht mehr mitkommen – it’s like you fall in love for the first time and then make love, in a volkswagen or whereever –, erhält man den Eindruck, dass Schreiben einfach ein tolles Hobby ist, mit dem sie auch noch eine Menge Erfolg hat.

Dass der Chiloé-Archipel ein magischer Ort voller Mythen sei, gehört übrigens selbst zu den chilenischen Mythen. Wer die Inseln besucht, wird keine Fabelwesen, sondern jede Menge Lachsfarmen finden. Egal: Der Lachs auf dem Büfett schmeckt ausgezeichnet. CLAUDIUS PRÖSSER