Babyklappen weiter umstritten

Vor fünf Jahren öffnete die erste Babyklappe. Eine sachliche Diskussion fehlt bislang

Das Baby war eine Frühgeburt. Seine Leiche fanden Mitarbeiter eines Recyclinghofs in Berlin-Hellersdorf Anfang des Jahres. Das Mädchen muss wenige Minuten nach der Geburt erwürgt worden sein, ergab die Obduktion. Ein ähnlicher Fall hat zur Gründung der ersten Babyklappe geführt. Damals war in einer Hamburger Recycling-Anlage ein Findelkind tot aufgefunden worden.

Das ist fünf Jahre her. Doch nach wie vor stehen sich Befürworter und Kritiker von Babyklappen unversöhnlich gegenüber: „Die Einrichtungen retten keine Leben“, sagt Bernd Wacker vom Kinderhilfswerk Terre des hommes. Im Gegenteil. Angesichts des hohen Bedarfs an Neugeborenen für Adoptionen in unserem Land sowie fehlender Kontrolle der Babyklappen bestehe sogar die Gefahr von Kinderhandel. Während das Adoptionsrecht aus guten Gründen sehr streng sei, werde um die Babyklappen eine „Diskussion der guten Herzen geführt“, die Risiken ausblende. „Es besteht ein krasses Missverhältnis zwischen den vermeintlich geretteten Neugeborenen und der viel höheren Zahl solcher Kinder, die durch diese anonyme Geburt ihrer Identität und des Rechts auf Erziehung und Unterhalt durch die möglicherweise wohlhabenden Eltern beraubt werden“, schimpft Wacker.

Ihm wirft die Berliner Sozialpädagogin Ursula Künning „Zynismus“ vor. „Da wird die Tatsache, dass Neugeborene trotz der mehr als knapp 80 Babyklappen ausgesetzt und getötet werden, zum Teil der Argumentationskette gegen das Angebot der anonymen Kindesabgabe“, sagt Künning, die zwei Jahre die vier kirchlichen Babyklappen in Berlin koordinierte. Etliche Träger von Babyklappen hätten sich Kritikern wie Wacker gebeugt und die Öffentlichkeitsarbeit eingestellt, sodass schwangere Frauen in Notlagen immense Schwierigkeiten hätten, die Babyklappen zu finden.

„Unsinn“, widerspricht Wacker. Das Angebot gehe an der Zielgruppe vorbei. Frauen, die ihre Kinder töten oder zum Sterben aussetzen, fehlten Persönlichkeitsreife und Bewältigungsstrategien. Sie seien gar nicht in der Lage, die Möglichkeit einer anonymen Geburt anzunehmen. „Babyklappen schaffen erst einen Bedarf und verführen Frauen dazu, anonym zu entbinden und damit ihre Kinder überstürzt zur Adoption freizugeben.“ Mit verheerenden Folgen: Betroffene litten später unter ihrer unbekannten Herkunft, würden krank oder seien bisweilen sogar selbstmordgefährdet.

„Diese Behauptungen sind wissenschaftlich nicht bewiesen“, sagt Künning. Wer das annehme, gehorche der Stimme des Blutes und missachte soziale Elternschaft. „Dahinter verbirgt sich die Angst, Kontrolle zu verlieren, und eine archetypische Furcht vor der Macht der Mütter.“ Wichtiger sei es, sich endlich den Hintergründen von Kindsaussetzungen und -tötungen zu stellen. „Die Frauen haben ja ihre Gründe wie Gewalt oder sexuelle Missstände in der Kindheit oder auch in ihrem Alltag“, erklärt Künning.

Sie mahnt das große gemeinsame Ziel aller Akteure an, die Zahl toter Findelkinder zu senken. Im Streit müssten Befürworter und Kritiker vorsichtiger mit Behauptungen und Zahlen umgehen. Denn gesicherte Erkenntnisse über Nutzen und Schäden von Babyklappen gibt es nicht. Sie fordert daher, die Arbeit der Einrichtungen zu dokumentieren und wissenschaftlich auszuwerten. Das wünscht sich auch Wacker. Im Gegensatz zu Künning fordert Terre des hommes allerdings, die Babyklappen sofort zu schließen – jedenfalls solange keine gesicherten Daten vorliegen. „Wenn wir irgendwann eines Besseren belehrt werden sollten“, sagt Wacker, „und sich herausstellt, dass Babyklappen tatsächlich Leben retten, dort eine gute Beratung gemacht wird, Missbrauch durch gesetzliche Vorgaben verhindert wird und die rechtliche Lage geklärt ist, dann stellen wir unsere Kritik sofort ein.“

Doch bislang ist nicht einmal eine Klärung der Rechtslage in Sicht. Vier Gesetzentwürfe, die anonyme Geburten regeln sollten, sind bereits gescheitert. Bisher ist im Grundgesetz noch das Wissen um die eigene Herkunft verbrieft. Und eigentlich sind Eltern ihren Kindern zum Unterhalt verpflichtet und verstoßen gegen Recht, wenn sie sich dieser Aufgabe entziehen. Zumindest in einem sind sich alle einig: Angebote für Schwangere in Notlagen müssen gestärkt und ausgebaut werden. Schließlich geht es um ein wichtiges gemeinsames Ziel. SILVIA BOSE