Knatter, Tragik, Freude

Lieber Gewitzel als Sauertöpfe: Raul Zeliks Romangroteske „Berliner Verhältnisse“

Der Titel dieses neuen Romans von Raul Zelik ist irreführend. „Berliner Verhältnisse“ hat nichts zu tun mit der gängigen Fremdenverkehrsrhetorik rund um die feiste Mitte Berlins. Im Gegenteil: Der Roman handelt von Inkassounternehmen, verprellten Arbeitnehmern und schlagkräftigen Freundinnen, und er ist in das Gewand einer Groteske gekleidet.

Raul Zelik, bisher auf Migration, Gender und politisch korrekte Zustände aller Art abonniert, veralbert die Berliner Verhältnisse, veralbert „Tagesschau“-Meldungen wie empörend hohe Schwarzmarktzahlen, skandalöse Baubranchenmorde oder gelungene Abschiebungsrazzien. Das macht er anhand philologisch plappernder, Gymnastik treibender Berliner. Etwa mit dem 32-Jährigen Mario, dem verwirrten Helden dieses Romans. Dessen wankelmütige Mutter bringt Mario stets aufs Neue zur Verzweiflung, wenn sie ihm rät, an die Zukunft zu denken. Derweil trägt sie sich immer wieder blauen Lidschatten auf, obwohl sie es nicht lassen kann, zu bemerken, dass nicht einmal Aufsichtsratskonkubinen blauen Lidschatten nehmen würden.

Auch Marios zwei Mitbewohner können ihm nicht helfen. Sie denken lieber zusammen mit Mario an die Zukunft. Sie wollen mehr Platz und vor allem Ruhe in ihrer Küche haben. Antonescu frittiert dort vorschriftsmäßig Auberginen. Das ist eine Notlösung. Er ist illegal in Berlin und wird deshalb um seinen Lohn geprellt. Die WG hilft dabei, ausstehende Löhne einzutreiben. Mario braucht sowieso gerade Bargeld, denn er will seiner resoluten Geliebten eine Edeka-Filiale schenken. Ja, und es gibt noch viel mehr von solchem grotesken Quatsch, zum Beispiel dass Marios Bruder unentwegt von einem Mann im Hasenkostüm verfolgt wird.

Zelik bespielt mit seinem Roman ein stiefmütterlich behandeltes Genre: die Verwechslungskomödie. Und er setzt dem sauertöpfischen Widerstandsaktivismus eine unsinnige, ungemein kleidsame Kappe auf: Das ständige Gewitzel ist der knatternde Motor der Geschichte, nicht sein Anlass. Wenn Zelik etwa über Verständigungsprobleme schreibt, tut er das nicht etwa mittels tränenvoller Abgesänge von Verlierern und Gewinnern, sondern mit albernsten Sprachspielen. So versteht Mario beispielsweise nicht, warum sein schwuler Mitbewohner plötzlich eine Frau hat. Als dieser Mario zur Erklärung anbrüllt, er sei bisexuell, echot es fragend von einem unbeteiligten Besucher in der Küche: Biseksüel? Kurzum, die Verständigungsprobleme bestehen nicht zwischen den Völkern und Geschlechtern, sondern zwischen Hirn und Mund.

Übertreibung ist hier Methode. Radikale Mittel wie Erpressung, Raub, Betäubung sind auch für Zeliks Protagonisten radikale Mittel. Begleitet aber werden sie von so lächerlichen Debatten quer durchs präpotente Vokabular der Postmoderne, dass ihre Inkraftsetzung einem Wunder gleichkommt. Beim Lesen jedenfalls schnappt man kreischend nach Luft. So mag die Tragik noch so groß sein, und die wahren „Berliner Verhältnisse“ mögen noch so wenig verharmlost werden: Wenn der letzte Teller beim WG-Abwasch geschafft ist, lässt das Gebrüll nicht lange auf sich warten. NORA SDUN

Raul Zelik: „Berliner Verhältnisse“, Roman, Blumenbar Verlag, München 2005, 318 Seiten, 18 Euro