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Gedrucktes doch nicht tot

In gleich zwei Bremer Ausstellungen sind handgemachte Kunstbücher zu sehen: Während in der Weserburg das „Artic“-Magazin eine Werkschau zum 25. Jubiläum ausrichtet, ist im Raum 404 das Programm des noch sehr jungen belgischen Adverse-Verlags zu sehen. Anachronistisch wirken beide nicht, obwohl sie den Umzug ins allerorts ausgerufene digitale Zeitalter sicher nicht mitmachen werden

Ein Vierteljahrhundert Kunst in 16 Heften: Das „Artic“-Magazin präsentiert seine neue Ausgabe im Rahmen einer Werkschau Foto: Artic

Von Jan-Paul Koopmann

Nur weil die Druckerei durch ist, gehen diese Hefte noch längst nicht in den Versand. Erst wird gelebt, getackert, gestempelt, gefaltet und geschnitten – und mit dem Textmarker gefärbt. Und das immer unterschiedlich: Keine zwei Exemplare der neuen ­Artic gleichen einander. Seit 25 Jahren gibt es das handgemachte Kunstmagazin inzwischen. Nachvollziehen lässt sich diese Geschichte jetzt auf einer Werkschau im bei der Weserburg beheimateten Zentrum für Künstlerpublikationen. Jede Ausgabe ist einem Schlagwort gewidmet. „Eigen“ lautet das aktuelle, vorher gab es mal „Stimme“, mal „orange“ oder „Banause“. Davon ausgehend entfaltet sich je eine heftförmige Assoziationskette aus Malerei, Fotografie, Design und ganz viel Text.

Auch wenn sich die Form kaum gewandelt hat, sind die Inhalte mit der Zeit gegangen: 25 Jahre Artic spiegeln 25 Jahre Kunstgeschichte. Nur eben fast vorbei am Onlinezeitalter. Naja, es gibt inzwischen ein Archiv für Text und Bild. Doch den Gesamteindruck dieser aufwendig produzierten Hefte zu digitalisieren, ist ausgeschlossen.

Diese aufwendig gestalteten Arbeiten zu digitalisieren, ist ausgeschlossen

Dass Gedrucktes auch ganz aktuell Künstler*innen umtreibt, belegt neben der Artic-Schau eindrucksvoll noch eine zweite Ausstellung in Bremen: Im Raum 404 ist „Adverse – advanced alternativ comic-underground from abroad“ zu sehen. Hier sind Bücher und Zines aus dem belgischen Independent-Comicverlag Adverse zu sehen. Wobei das mit dem Comic so eine Sache ist: Die Arbeiten sind höchst abstrakt, umkreisen die Gattung eher aus neugieriger und bisweilen dekonstruierender Distanz.

Am Gemeinsamen beider Schauen hängen nun eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: Es fließt kein Geld. Die Artic-Redaktion arbeitet komplett unentgeltlich, als letzte Grenze der Selbstausbeutung hat man sich immerhin gesetzt, nicht auch noch private Kohle in das Projekt zu pumpen. Darum war zwischendurch auch ein paar Jahre Pause, weil das Konto leer war und man sich wieder umsehen musste. Mal geht eine Ausgabe als Ausstellungskatalog durch, mal ist ein anderer Topf offen. Grundsätzlich haben es Periodika schwer auf dem Fördermarkt und Anzeigen gibt es heute auch nicht mehr. Immerhin sind da eine Handvoll Abonnenten – und einfallsreiche Spartalente in der Redaktion.

Und Adverse aus Belgien? Ist faktisch ein Ein-Mann-Betrieb ohne Feierabend. Das im wahrsten Sinne des Wortes gewichtige Hauptwerk „De tout Bois“ versammelt rund 50 Künstler*innen auf knapp 200 Buchseiten, eingelegten Kunstbögen, Faltblättern mit unterschiedlichsten Papiersorten und Drucktechniken. Die Materialkosten liegen pro Exem­plar bei knapp 30 Euro. Wenn er sich ranhält, bekommt Verleger Alexandre Balcaen drei Stück in der Woche gebunden, was der Verkaufspreis von immerhin 70 Euro nicht annähernd deckt.

Handgemacht und voller Kunst: Die Anthologie „De tout Bois“ zeigt das volle Programm des Adverse-Verlags Foto: Adverse

Aber es gab noch auch eine gute Nachricht: „De tout Bois“ ist eine Anthologie aus dem Besten, was abstrakte Comickunst in Europa zu bieten hat. Gefunden haben sie sich über Zine-Conventions und kleine Ausstellungen wie sie hier in Bremen mit langem Atem Raum-404-Galerist Gregor Straube ausrichtet. Das gleiche bei Adverse: Das rund 240 Personen führende Künstler*innen-Verzeichnis der Artic führt diverse heute große Namen. In einer frühen Ausgabe stößt man etwa auf Miron Zownier, der einige seiner verstörenden Porträts der zerfallenden Sowjetunion beigesteuert hat. Sein Bildband „Radical Eye“ ist heute legendär, einige der Fotos waren zuerst hier zu sehen: im Artic-Magazin. Das Magazin ist aber weit mehr als nur ein Sprungbrett für die Aufstrebenden. Das beweist die gerade zur Ausstellung erschienene Ausgabe 16. Zwischen diversen Beiträgen junger Künstler*innen findet sich da dann auch ein neues Gedicht von Nobelpreisträgerin Herta Müller.

Zwischen Artic und Adverse liegen Welten: hier Bücher, die vorsätzlich mit Formaten brechen, dort ein Periodikum mit einer strikten Auflage von 1.000 Stück und einem Titelblatt, das stets von Redaktionsurgestein Andreas Drewer gestaltet wird: mal aus alten Jeans, mal aus geschnittenem Karton – aber mit wiedererkennbarer Handschrift. Und gerade im Kontrast beweisen die Schauen eine Vielfalt, die Gedrucktes noch hat. Oder vielleicht: heute erst recht.

„Artic“: bis 24. 2., Weserburg

„Adverse“: bis 24. 11., Raum 404, Nicolaistraße 34/36

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