Is des a Gaudi!

Nur 1,9 Prozent der BerlinerInnen kommen aus Bayern. Viele integrieren sich unauffällig. Doch auch in der deut-
schen Hauptstadt wird bayerische Kultur gepflegt

Bayern-Hotspot in Berlin: das Hofbräuhaus nahe dem Alexanderplatz in Mitte Foto: Steinach/imago

„Jungs im Dirndl – warum nicht?“

Protokoll Plutonia Plarre

„Wer bei uns arbeiten möchte, muss nicht aus Bayern kommen, aber stressfest sein. Im Erdgeschoss haben wir 1.400 Plätze, im Obergeschoss 1.200. Menschenmassen und laute Musik – das geht ganz schön auf den Kopf. Von 18 bis 21 Uhr wird ausschließlich bayerische Musik gespielt. Danach geht es dann in die Partyrichtung, internationale Klassiker. Das Handwerk sollte man natürlich auch beherrschen: Teller und Krüge tragen. Anfänger bringen es auf linke Hand 4 Maß, rechte Hand 4 Maß. Profis schaffen 14 Maß – 7 Liter links, 7 rechts. Das ist dann aber das höchste der Gefühle. Nicht nur die Größe des Ladens hier in Berlin ist beeindruckend, auch die Inneneinrichtung kommt an Münchner Verhältnisse ganz schön nah ran: die großen Holztische und die Bierbänke, die man in Bayern überall kennt. Und die übergroße Bar. Unsere Jungs vom Service tragen alle klassisch Lederhose und dazu ein blaukariertes Hemd. Die Mädels haben ein Dirndl an. Mädels, die mit einem Dirndl nichts anfangen können, kommen auch in Lederhose. Den Fall, dass einer der Jungs ein Dirndl anziehen wollte, hatten wir noch nicht. Aber warum nicht? Wir haben viele englische Gruppen, Junggesellenabschiede und so, da kommen die Herren auch im Dirndl rein. Generell kann man sagen, in Berlin wird mehr die Sau rausgelassen. Die Leute tanzen und ­gehen auf die Bühne. In München ist alles gediegener. Vor 7 Jahren, als wir aufgemacht haben, waren die meisten Gäste Berliner, inzwischen sind 60 Prozent Touristen – Italiener, Spanier, Osteuropäer. Auch bei den Asiaten sind wir sehr beliebt. Beim Alkohol­konsum merkt man den Kultur­unterschied. Bei den Asiaten ist teilweise schon nach 0,5 Litern Feierabend. Bei den Europäern sind 10 Mass das Höchste. Wenn die Leute anfangen zu pöbeln, sagen wir: Jetzt ist aber Schluss.“

Marcel Werner (34) ist Betriebsleiter im Hofbräu-Wirtshaus am Alexanderplatz.

„Anarchistisch und rauschhaft“

Interview Anna Klöpper

taz: Herr Schiffauer, Sie sind Ethnologe, haben jahrelang an der Europa-Universität in Frankfurt (Oder) gelehrt, aktuell sind Sie an der Freien Universität Berlin. Außerdem sind Sie gebürtiger Bayer. Wie ist denn Ihr ganz persönliches Verhältnis zu den Preußen?

Werner Schiffauer: Na ja, in Berlin zu wohnen heißt ja nicht unbedingt, unter Preußen zu sein, sondern eher unter zugewanderten BerlinerInnen wie mir. Ich schätze viele Sachen hier – vor allem, dass sich das Kosmopolitische hier nicht mit Nationalpatriotismus verbündet. Es gibt hier weniger stark ein Bekenntnis zu Lokaltraditionen, weniger ritualisierte Feste. Mir lässt das mehr Luft zum Atmen. Höchstens die elaborierte fränkische Küche vermisse ich: saure Nierchen, gebackenes Hirn – habe ich hier bisher nicht gefunden.

Die nächste Frage geht an den Ethnologen Schiffauer: 1871 wurde Bayern Teil des Deutschen Kaiserreichs unter Führung Preußens. Spätestens da waren die im Norden die „Saupreußen“. Ein Trauma, das sich bis heute in einem „wir gegen die“ fortsetzt?

Ach, das wird künstlich aufgebaut, weil die Politik an einer solchen Inszenierung Interesse hat. Nehmen Sie die aktuelle Führungsriege der CSU, die sich in Abgrenzung zur Politik in Berlin profiliert. Dabei ist Bayern in einigem viel preußischer als die Preußen.

Wie meinen Sie das?

Nehmen Sie die bayerische Beamtenschaft, die ist hochgradig diszipliniert. Da werden Regeln eingehalten bis hin zur Kleinlichkeit – die Erfahrung habe ich zum Beispiel im Bereich der Hochschule gemacht. Dann gibt es aber auch wieder ein anarchistisches, rauschhaftes Element in der bayerischen Kultur, das Oktoberfest etwa. Und dann gibt es dieses Auftrumpfende. Das resultiert aus der Erfahrung, ökonomisch inzwischen überlegen zu sein. Vielleicht kompensiert man da auch noch historische Niederlagen.

Reiches Bürgertum im Bayerischen Viertel

Von Jana Lapper

Das bayerische Herz Berlins schlägt zwischen Eiscafé Bella Italia, Apollo Optik und der „Brutzelbude“. Angeblich. In Schöneberg liegt der Bayerische Platz, rundherum das Bayerische Viertel. Ausgerechnet an meinem ersten Arbeitstag in der Berlin-Redaktion der taz soll ich mich hier auf die Suche nach meiner bayerischen Heimat begeben, die ich doch gerade gegen Berlin getauscht habe.

Errichtet wurde das Bayerische Viertel zu Beginn des 20. Jahrhunderts, um ein reiches Bürgertum in die Stadt zu locken. Eigentlich ein unpassender Name, denn Bayern war zu der Zeit noch ein armes Agrarland. Viele der einst prächtigen Bauten stehen heute nicht mehr – im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bomben rund 75 Prozent des Viertels. Trotzdem zählt die Gegend auch heute noch zu den „bevorzugten Wohnlagen“, die Mieten liegen laut Wohnungsbörse.net mit 14,37 Euro pro Quadratmeter entsprechend hoch. Zumindest das scheint die Gegend mit der bayerischen Landeshauptstadt München gemein zu haben.

Passend also, dass hier auch die Münchener Straße verläuft. Viele andere Straßennamen versetzen mich in meine Kindheit und Jugend zurück – doch die Rosenheimer Straße in Berlin ist schöner als wahrscheinlich irgendeine Straße in ganz Rosenheim. Der Berchtesgadener Straße fehlen die Berge und in der Traunsteiner Straße kann ich meine Schule nicht finden. Besonders irritierend: Was machen die Innsbrucker und Salzburger Straße hier? Wie so oft scheint auch hier das Motto zu sein: Österreich oder Bayern, ist doch dasselbe!

An einer Seite des Platzes verstecken sich dann doch noch wenige Quadratmeter echtes Bayern: Im Lokal „Goldener Stern“ gibt es bayerische Küche, blau-weiße Tischdecken und das Bier zünftig auch als Mass. Es ist Mittagszeit, das Restaurant gut besucht, und Inhaber Bernhard Müller hat alle Hände voll zu tun. „Ich bin der Quoten-Bayer hier“, sagt der gebürtige Münchner und stemmt die Hände stolz in die Hüften. Die bayerische Küche sei in Berlin beliebt, er könne sich nicht beschweren. Wenn auch die Berliner*innen die Bayer*innen ansonsten nicht besonders mögen – den echt bayerischen Schweinsbraten hier und das Bier scheinen sie in Ordnung zu finden.

Der FC Bayern Berlin

Von Erik Peter

Der führende Verein der Hauptstadt, ganz klar, ist der FC Bayern Berlin. Trainiert wird das Team vom Weddinger Niko Kovač, der sich von seinem Bruder Robert assistieren lässt. Mit Jérôme Boateng kommt auch der zentrale Ankerpunkt der Mannschaft aus dem Westberliner Arbeiterbezirk.

Fans hat der große FCB in der Stadt nicht nur deshalb zuhauf. 32 Fanclubs sind gemeldet, von den Berliner Bajuwaren über die Kreuzberger Bayern bis zu Mia san mia und bleiben mia. Selbst einen eigenen Fanshop gibt es. Selbstverständlich ist die Auswahl der Fußballkneipen, die alle Spiele der Münchener zeigen, groß. In der Friedrichshainer Bretterbude etwa tummeln sich dann gefühlt mehr Fans, als sich bei TeBe im Mommsenstadion verlieren. Im Olympiastadion laufen die Münchener etwa zwei Mal im Jahr auf: als einziger Hertha-Gast, der das Stadion bis zum letzten Platz füllt, und späterer Sieger des DFB-Pokalfinals. Diese Saison kommt noch der Auftritt Anfang Dezember im Achtelfinale des Pokals hinzu. Hertha, klar, hat dann nichts zu melden.

Ein echter Schweinsbraten braucht eine Geschichte

Von Andreas Rüttenauer

Ein richtiger bayerischer Schweins­braten braucht eine Geschichte, damit er schmeckt. Warum sollte man ihn sonst essen, gerade in Berlin. Wenn man mit Eisbein nichts anfangen kann, hat man hier jede Menge Möglichkeiten, ein gutes Schweinernes auch beim Franzosen oder beim Italiener zu essen. Es braucht also gewiss keinen bayerischen Schweinsbraten, um kulinarisch versorgt zu werden in der Hauptstadt. Aber manchmal muss es einfach sein.

Die Räterepublik verteidigt

Wenn einem der Wirt erzählt, wie er seinerzeit aus Cham in der Oberpfalz nach Berlin gekommen ist, wenn man selber berichtet, wie es einen in die Hauptstadt verschlagen hat, wenn man plötzlich sinniert über früher und ganz früher und dann über die Räterepublik redet, als habe man sie damals höchstselbst gegen die Truppen der Reaktion verteidigt, dann gibt es nichts Besseres als einen Schweinsbraten. Mmmh.

Es ist dann so wie mit dem Kartoffelsalat, den die Oma immer gemacht hat. Der war einfach der beste, auch wenn er vielleicht gar nicht wirklich gut gewesen ist. Der Schweinsbraten im Gasthaus Valentin in der Hasenheide ist also deshalb so gut, weil man zu Kraut, Knödeln und Fleisch eine ganz besondere Beilage bekommt, einen Ratsch in der Landessprache.

Die meisten Schweinsbraten in Berlin werden woanders gegessen, in den großgastronomischen Einrichtungen mit bayerischem Anstrich – im Augustiner am Gendarmenmarkt zum Beispiel oder im Hofbräuhaus hinter dem Alexanderplatz. Da bekommt man keine Geschichte geliefert, auch wenn man spätestens nach dem fünften Besuch weiß, dass die blonde Bedienung im rosa Dirndl, die jeden Gast mit „Servus!“ begrüßt, Janine aus Lichtenberg ist.

Wenn es keine Geschichte gibt zum Schweinsbraten, achtet man mehr auf den Geschmack. Aber wo ist der überhaupt?

Würde man das Tellergericht püriert in eine Tube abfüllen, man würde am Geschmack nicht erkennen, was das mal war. Ein Japaner würde vielleicht sagen, dass es nach Sushi mit vergorenen Bohnen schmeckt, ein Ami würde einen Burger erkennen und ein Norweger vielleicht auf Kabeljau tippen, fragte man ihn, wonach das schmeckt. Solche Schweinsbraten sollen nämlich allen schmecken und schmecken deshalb gar nicht.

Dafür bekommt man ein Stück röscher Kruste auf den Teller gelegt. Knackknack. Das essen also Berliner, werden sich Touristen aus dem Ausland denken. Das essen also die Bayern, denkt sich der eingeborene Berliner und zermalmt das hart gewordene Fett zwischen seinen Hauern. Und der Bayer? Dem graust es und er fragt sich, wo es noch Eisbein gibt in Berlin.