Zocken, um aufzustocken

HARTZ IV Carlos ist arbeitslos, spielt, boxt – und hat CDU gewählt

Samstags ist Carlos ein Glückskind. Unter der Woche schreibt er Bewerbungen, fünf in jedem Monat, seit viereinhalb Jahren. Samstags aber wettet er auf Bundesligaspiele. Der gelernte Automechaniker ist 27 und lebt seit seiner Ausbildung von Hartz IV. Es gibt viele Gründe, warum die Werkstätten ihn ablehnen – oft weil „es wirtschaftlich nicht funktioniert“, sagt Carlos.

Es ist verqualmt im Wettbüro Fortuna. Auf Bildschirmen an den Wänden rennen Fußballspieler, die Gäste drängen sich um einen Tisch oder weiter hinten bei den Spielautomaten. „Nur Männer“, sagt Carlos. Auch seine Freunde werden noch dazukommen, alle paar Minuten klingelt sein Handy oder er ruft selbst an. „Ich bin Fortuna“, sagt er dann, oder: „Ich bin Neukölln.“ Er ist kräftig, trägt eine sportliche schwarze Jacke, der Stoff glänzt im Licht. Er selbst ist ein guter Boxer. „Ich werde vielleicht bald meinen Profivertrag haben“, sagt er. 15.000 Euro will er dann pro Kampf verdienen.

„Erwerbslose können sich im wahrsten Sinne des Wortes warm anziehen“, sagt Harald Thomé von der Arbeitsloseninitiative Tacheles. Jeder Langzeitarbeitslose soll künftig für Heiz- und eventuell auch für Mietkosten denselben Pauschalbetrag erhalten, egal wie hoch seine tatsächlichen Ausgaben sind. Experten befürchten, dass dies nur ein Vorwand für Kürzungen ist.

Andererseits sollen Hartz-IV-Empfänger in Zukunft die Möglichkeit haben, mehr dazuzuverdienen, ohne Leistungen gekürzt zu bekommen. Das dürften Betroffene begrüßen, meint Frank Steger, Vorsitzender des Berliner Arbeitslosenzentrums (Balz). Er warnt aber vor einer Ausweitung des Niedriglohnsektors. Auch die Pläne, das Schonvermögen zu verdreifachen, hält er für grundsätzlich begrüßenswert: 750 Euro pro Lebensjahr sollen für die Altersvorsorge zurückgelegt werden können. Wer heute bereits Hartz-IV-Empfänger ist, musste sein Vermögen allerdings schon aufbrauchen. Die Regelung kommt nur denen zugute, die jetzt durch die Krise ihren Arbeitsplatz verloren haben. Steger rechnet damit, dass von ihr höchstens 5 Prozent seiner Klienten profitieren.

Harald Thomé glaubt, dass Erwerbslose in Zukunft häufiger für ihre Bedürfnisse auf die Straße gehen werden, je mehr sich ihre Situation verschärft. „Ich wünsche mir, dass die Leute sich wehren“, sagt er.

Die Erwerbslosen seien eher resigniert, hätten das Vertrauen in die Politik verloren, meint Steger. Unter der Schröder-Regierung hatten viele mit dem geplanten „Bündnis für Arbeit“ neue Hoffnungen gefasst. Inzwischen sehen sie in der Regierungspolitik eher ein „Bündnis gegen Arbeitslose“. Arbeitslose die Erwartungen an Schwarz-Gelb hätten, kennt er nicht.

Doch die gibt es. Carlos zum Beispiel. Er hat die CDU gewählt. Sie soll was fürs Volk tun, findet er, für die Arbeitslosen. Ist sie nicht eher die Partei der großen Unternehmen? „Ich will ja groß werden“, sagt er. Bis dahin verdient er sich mit Sportwetten Geld, um auszugehen, ab und zu, um Mädchen zu treffen. „Ich gewinne oft“, sagt er. Bei der Jobsuche hat er die Hoffnung aufgegeben. Wird es mit der neuen Regierung besser? Carlos schiebt die Unterlippe nach vorne und schüttelt den Kopf.

KRISTIANA LUDWIG, SANDRA
WALZENBACH, MATTHIAS STOCKKAMP