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wortwechselHat Angela Merkel uns auch nur verkohlt?

Verbeugt sich die taz zu tief vor der Kanzlerin? Oder honorieren wir nur ihre offensichtliche persönliche Größe – trotz aller politischen Differenzen? Unsere LeserInnen sehen beides

„Es ist ein Mädchen!“ – Titelzeile der taz im Jahr 2005 bei Angela Merkels erster Wahl zur Bundeskanzlerin Foto: Axel Schmidt/reuters

„Wir werden uns noch nach ihr sehnen“, taz vom 30. 10. 18

Seid ihr Groupies?

Nach zahlreichen halb- bis unkritischen taz-Interviews mit CDU-PolitikerInnen und Äußerungen, die an die emotionale Verwirrung von Groupies erinnern, verwundert dieser taz-Titel nicht. Warum sich nach Merkel sehnen?

Weil sie einst als junge Ministerin Anfang der neunziger Jahre die Deformation des Asylrechts schweigend mitgetragen hat? Weil sie die sogenannten Deregulierungen während Kohls und Schröders Kanzlerschaften begrüßte und so mitverantwortlich wurde für die prekäre Existenz von Millionen von Menschen?

Weil sie in dreizehn Jahren als Kanzlerin nicht dafür gesorgt hat, dem Steuerbetrug Einhalt zu gebieten und dem Staat dadurch Hunderte Milliarden an Einnahmen entgingen? Weil Sie während ihrer ersten Kanzlerschaft den Aufsichtsratsvorsitzenden von Siemens und vormaligen Vorstandsvorsitzenden, Heinrich von Pierer, als Chefberater für wirtschaftliche Fragen konsultierte, während dieser gleichzeitig korrupte Geschäfte in der ganzen Welt machte? Weil sie den 60sten Geburtstag des einstigen Chefs der Deutschen Bank, Josef Ackermann, mit ihm im Kanzleramt feierte, als dieser durch seine Geschäftspolitik die Bankenkrise verschärfte, die Steuerzahler indirekt schädigte und die Basis für den Niedergang des einstigen Flaggschiffs der bundesdeutschen Geldhäuser legte? Weil sie nach der Einwanderung von Flüchtlingen zwar meinte, die damit entstehenden Aufgaben meistern zu können, aber auf institutioneller Ebene im Wesentlichen alles beim Alten beließ? Weil sie die Bevölkerung angesichts von großen weltweiten Flüchtlingsbewegungen nicht darauf vorbereitet, in den kommenden Jahren weitere Flüchtlinge aufnehmen zu müssen? Weil sie einen nicht mehr zurechnungsfähigen Politiker aus Bayern als Innenminister hinnimmt? Weil sie nichts dafür tut, dass der unerträgliche Rechtsausleger an der Spitze des Verfassungsschutzes endlich seinen Platz räumen muss?

Wie kann die taz angesichts der skizzierten Bilanz eine solche Lobhudelei formulieren und einen solchen Titel gestalten? Walter Ullrich, Berlin

Eine Dienerin des Volkes

Wer das Glück hatte, die Pressekonferenz auf Phönix zu verfolgen, weiß, hier hat eine natürlich gebliebene Politikerin selbstbestimmt gehandelt und alle Vorgänger damit übertroffen. Diesen Rückzug möchte sie geordnet gestalten und bietet ihre Kraft als Bundeskanzlerin bis zum Ende der Legislaturperiode an. Sie ist wohl tatsächlich eine Dienerin des Volkes. Warum sind dann ihre Jahre seit 2005 verlorene Jahre, wie behauptet wird, obwohl es uns so gut geht wie noch nie? Angela Merkel hat die kurze Spanne, das Zeitfenster bis 2020, nicht genutzt, der Welt zu zeigen, dass über die Energiewende hoch entwickelte Länder den Klimawandel, diese größte Herausforderung der Zivilisation, zu ihrem wirtschaftlichen wie finanziellen Vorteil abmildern können.

Als Naturwissenschaftlerin und gut beraten durch Schellnhuber, weiß sie, worum es geht, und hat das Thema international vorangebracht, auch in Heiligendamm. Historiker werden die Antwort darauf suchen. Die hessischen Wähler jedenfalls vertrauen den bisherigen Volksparteien bezüglich ihrer Zukunftsfähigkeit nicht mehr. Klaus Warzecha, Wiesbaden

… mit Demut

„Ganz großes Finale“, taz vom 30. 10. 18

Zuerst muss ich sagen, dass ich nichts aber gar nichts mit der CDU zu tun habe, aber … Frau Merkel ist und war für mich (fast) immer ein Mensch, den ich tief bewunderte: ihr kluges (ohne eisigen Intellekt) Verhalten, ihr unaufdringliches (ohne zögerliche Verdrängung oder ignorante Abwehr) Konfliktlösen, ihr Annehmen vieler Gegebenheiten mit, ja, Demut – ohne diese so als Wort vor sich her zu tragen; stark in dieser Demut – so wie Willy Brandt mit seinem Kniefall in Polen.

Okay, ihr größter Fehler war, Herrn Seehofer in dieser Position ins Regierungsteam zu holen, aber ich möchte mir nicht vorstellen, welcher Druck von wie vielen auf sie ausgeübt wurde und wird. Frau Merkel war und ist für mich eine Perle in einem Sauhaufen. Alles Gute für sie. Evelin Wimmel-Hirschler, Wehrheim

Kein Eier-Feigling

„Ein Abgang mit Würde“,

taz vom 30. 10. 18

Friedrich Merz will Kanzler?! Ich lach mich scheckig – der hat sich doch bei den Eierwürfen in Berlin hinter Merkel versteckt, sie gar vor sich geschoben und sich hinter ihr geduckt! Austeilen konnte er ja schon immer gut, wenn er nicht gerade beleidigt war – aber wenn er dann vor Eiern Angst hat, nützt das auch nix. Nee, lass mal Fritze, du wurdest nicht vermisst, und das ist auch gut so. Antje Joly, Bremen

„Hälfte meines Herzens“

„Frieden zwischen hier und dort“, taz vom 26. 10. 18

Guten Tag, Kefah Ali Deeb, ich habe die Seiten des Workshops gelesen, den Sie mit den Arabisch sprechenden geflüchteten Frauen gemacht habt: Ganz großes Kompliment, ich war bei der Lektüre aller Texte sehr berührt! Ganz besonders auch bei den Texten von Nada Karakar und von Rosa Abdullah. Wir haben bei unserer Arbeit mit Flüchtlingen in unserem Dorf in Niedersachsen auch viele Auseinandersetzungen über die Frage der gleichwertigen Behandlung der Eingereisten, über die „Integration“ und die Interessen und Empfindungen der Leute – Frau Karakar hat es so eindringlich und deutlich beschrieben. Wir werden den Text nutzen in unseren Gesprächen.

„Und ich werde mein ganzes Leben gegen das autoritäre Regime, das dich verhaftet hat, aufschreien“, verspricht Rosa Abdullah ihrem Onkel, der „die Hälfte meines Herzens“ ist. Das ist so stark – und sie soll wissen, dass sie mit ihren Empfindungen nicht allein ist. – So eine großartige Arbeit in dem Workshop will ich nicht unbeantwortet lassen als begeisterter taz-Leser. Jürgen Dege-Rüger, Wulfsen

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