dvdesk: Dann schweben zwei an der Decke
Als die Cinémathèque française letztes Jahr mitten in der #MeToo-Debatte eine Retrospektive des Werks von Roman Polanski ansetzte, kam es zu so heftigen wie berechtigten Protesten, unter anderem von Femen. Der Präsident der Cinémathèque, der Regisseur Costa-Gavras, nahm nicht den mutmaßlichen Vergewaltiger, aber, wie in solchen Fällen üblich, das Werk in Schutz, das er von der Person kategorisch zu trennen versuchte. Die Retro fand statt, Polanski kam als Ehrengast zu Besuch und erhielt Standing Ovations.
Zu allem Überfluss hatte die Cinémathèque, deren Arbeit immer auch Arbeit an der Kanonisierung von Regisseuren (und sehr viel seltener Regisseurinnen) ist, zu dem Zeitpunkt schon die nächste Retro eines alten weißen Mannes mit Dreck am Stecken geplant: nämlich des Werks des international sehr viel weniger bekannten französischen Regisseurs Jean-Claude Brisseau. Diese Retro wurde angesichts der Polanski-Proteste verschoben, vermutlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Das ist auch gut so. Während Polanski nie zur Rechenschaft gezogen wurde, wurde Brisseau vor über zehn Jahren wegen sexueller Belästigung zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.
Sein Fall liegt jedoch ein wenig anders. Sexualität ist die zentrale Obsession des Filmemachers Brisseau, und zwar die Sexualität von Frauen. Sie setzt er, oft in der Nähe zum Pornografischen, in Szene; für die klare, rigorose, direkte Art, wie er es tut, wird er von Teilen der Kritik sehr verehrt. Mehrere Darstellerinnen hatten geklagt, dass er mit Forderungen, sie sollten vor ihm masturbieren, beim Casting seines Films „Heimliche Spiele“ von 2002 zu weit ging. Das Gericht gab den Frauen recht.
Brisseau drehte seinen nächsten Film, „Teuflische Engel“, über einen Regisseur, der Darstellerinnen beim Casting vor sich masturbieren lässt und dadurch Schwierigkeiten bekommt. Angeblich hatte er das Skript schon vor dem Prozess geschrieben, der Film selbst ist wieder sehr interessant und bekam exzellente Kritiken – degoutant ist das alles aber doch.
Auch in seinem jüngsten Film, „Teuflische Versuchung“ (im Original „Que le diable nous emporte“, also: „Der Teufel möge uns holen“), will und kann Brisseau – inzwischen Mitte siebzig – von seinen Obsessionen nicht lassen. Drei Frauen sind diesmal versammelt. Die eine, Camille (Fabienne Babe), ist durch sexuellen Missbrauch schwer traumatisiert. Die zweite, Suzy (Isabelle Prim), ist eine Nymphomanin und wird von einem Mann, Olivier, ihrerseits obsessiv verfolgt. Die dritte, Clara (Anna Sigalevitsch), liebt Camille, gibt ihr Obdach und begibt sich als Dritte zu Camille und Suzy, als sie die beiden beim Liebesspiel antrifft. Von hier aus knäueln sich und erweitern sich und entwirren sich Drei- bis Vierecksverhältnisse der wundersamen Art.
Eine Männerfantasie ist das schon, aber damit ist eher wenig gesagt. Einerseits nämlich lässt Brisseau das Fantastische daran wilde Blüten treiben – etwa in der Figur des Obermieters namens Tonton, der keinen mehr, dafür aber sich ganz per Levitation vom Boden hochkriegt. Andererseits setzt Brisseau das alles mit bezwingender Einfachheit und bewusster Naivität und stiller Komik und fern von psychologischem Realismus so in Szene, dass die Frauen jederzeit und entschieden Subjekt ihres Sprechens und Tuns sind und bleiben. Je absurder die Wendung, desto hinreißender die abgeklärte Offenheit dieses Blicks. Am Ende schweben zwei an der Decke, die Dritte bricht aus in befreites und befreiendes Lachen. Und nichts könnte natürlicher sein. Ekkehard Knörer
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