: Malchower Geheimnis
DRAMA „Novemberkind“, 22.30 Uhr, SWR
Ein Wort reicht, um den Mantel des Schweigens im mecklenburgischen Malchow zu zerreißen: Konstanz. Als Inga (Anna Maria Mühe) gegenüber ihren Großeltern den Namen der Stadt am Bodensee erwähnt, entgleisen diesen die Gesichtszüge – ahnend, dass nach 27 Jahren die Wahrheit nicht mehr aufzuhalten ist: die Wahrheit über ihre Tochter.
Inga ist bei ihren Großeltern aufgewachsen, in dem Glauben, dass ihre Mutter kurz nach ihrer Geburt in der Ostsee ertrunken ist. Erst die Begegnung mit dem Literaturprofessor Robert (Ulrich Matthes) sät Zweifel an dieser Geschichte: Robert behauptet nämlich, dass Ingas Mutter sich damals in einen russischen Deserteur verliebt hat und mit ihm in den Westen geflüchtet ist, nach Konstanz. Ihr ganzes Leben eine Lüge? Inga beginnt nach der Wahrheit zu suchen.
Christian Schwochows Langfilmdebüt „Novemberkind“ zeigt beide Hauptdarsteller in einer Doppelrolle: Anna Maria Mühe spielt Inga und in kurzen, blitzartigen Rückblenden ins Jahr 1980 auch deren Mutter Anne, und Ulrich Matthes’ manischer Robert ist eine janusköpfige Figur, zerrissen zwischen seiner Zuneigung zu Inga und dem Plan, aus ihrer Geschichte ein Buch zu machen. „Eigentlich möchte ich sie beschützen“, sagt er zu seinem Verleger, „gleichzeitig habe ich das kranke Bedürfnis, über sie zu schreiben.“
Es gehört zu den großen Stärken von Schwochows in kühlem, winterlichem Blaugrau gehaltenen Film, dass er dem Konflikt jeder seiner Figuren Platz schafft. Großartig etwa, wie Ingas Vater Alexander (Thorsten Merten), ein Orthopäde, bei der ersten Begegnung mit seiner Tochter aus purer Überforderung heraus die Praktikantin hinzubittet und Ingas Rücken untersucht, um bloß nicht offen mit ihr sprechen zu müssen. Auch hier ist es wieder das Unausgesprochene, das Weggeschobene, was den Sog des Films ausmacht. Der Zuschauer wird zum Augenzeugen eines Aufbrechens – und eines Aufbruchs. Denn am Ende geht auch Inga weg aus Malchow. Geschichte wiederholt sich. DAVID DENK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen