Der Kanzlermeister

Schöne Momente mit (3): Udo Walz. Erst hat der Berliner Coiffeur das Haar von Gerhard Schröder kanzlertreu nicht gefärbt. Dann hat er Angela Merkel kanzlerfähig frisiert. Vor zwei Monaten ist er in die CDU eingetreten. Wer ist dieser Udo Walz wirklich? Ein Salonbesuch, mit Haarschnitt

VON SUSANNE LANG

Frau Becker kommt ein wenig ungelegen. „Was will sie denn, die Barbara?“ Seine Stimme schwingt durch den Salon, begleitet von einem sanften Brummen, tief aus dem Bauch, der unter einem schwarzen T-Shirt, kombiniert mit weitem geöffneten Hemd, Platz gefunden hat. Er weiß die Antwort, freut sich auch darauf – später. Eine nach der anderen. Keine Ausnahmen. Die Salondame im Kostüm trägt das Telefon zurück an den Empfangscounter – Udo Walz nimmt sich später Zeit für Frau Becker.

Jetzt streicht er mit den Fingern noch einmal durch das lange silberblonde Haar seiner Kundin, bauscht es am Hinterkopf, mustert sein Werk im Spiegel. Eine Wand, brusthoch aus Sichtbeton, verdeckt Udo Walz bis zum Hals. Von den Plätzen jenseits der Wand ist sein Kopf zu sehen, ab und an taucht er in den Spiegeln auf. Seine grauen kurzen Haare, sein grauer Bart, seine Nickelbrille. Das dunkelrote Leder der Schwingstühle wärmt die Betonästhetik. Aus versteckten Boxen swingt eine Frauenstimme, leise, mischt sich unter einen Föhn, der vornehm im klimatisierten Raum summt. Kein Haarspray, das sonst in Salons in der Luft klebt, kein Farbgeruch, der in der Nase beißt. Im Salon Udo Walz hat alles seinen Platz. Und jeder. Auch Frau Christiansen, Herr Schröder, Herr Westerwelle. Sogar Frau Merkel. Und, selbstverständlich, die JournalistInnen. Aber ja, auch von der taz.

Die silberblonde Frisur sitzt endlich. Er kommt. Langsam, bedächtig, seine Schuhe schlurfen über den Boden, als er hinter der Wand hervorkommt. Jetzt ist er am Platz. Blickt auf die Haare, dann in den Spiegel. Schweigt. Zupft. Wuschelt.

„Herr Walz, fragen Sie jetzt bitte nicht, wer das verbrochen hat, wie Sie es bei Angela Merkel gemacht haben.“

„Das habe ich nie gesagt! Und würde ich nie sagen. Jeder Friseur denkt ja, er sei der beste, und das sollen sie auch denken.“

Wenn die Chemie nicht stimme, schicke er die Leute weg, sagt der Friseur. Das habe er schon gemacht. Es gebe schließlich 4.000 Friseure in Berlin. Er blickt zurück aufs Haar. Klärt den Schnitt.

„Also generell: Die Länge ist klasse, ge’, ich find’s auch nicht so schlecht geschnitten. Hier oben ein bisschen stufiger, wie alt sind Sie, sind Sie sehr mutig, ja, sehr schön, so ein bisschen Meg Ryan?“

Er lässt schamponieren. Strubbelt mit seinen kurzen festen Fingern durchs nasse Haar, es kribbelt kurz im Nacken, er kämmt, greift nach der Schere in der Brusttasche, er legt sie an. Praktischerweise stimmt bei sehr vielen und sehr bekannten Politikern die Walz-Chemie. Ebenso wie bei sehr vielen und sehr bekannten SchauspielerInnen, ModeratorInnen, Models. Prinzipiell sind alle willkommen. „Leider ist die Schwellenangst für viele groß, zu Udo Walz in den Salon zu kommen“, sagt Udo Walz.

„Herr Walz, Angela Merkel –“

Er setzt die Schere ab, blickt auf, runzelt die Stirn, beugt sich näher, als ob ihn das Zuhören anstrenge, sein Bauch berührt kurz die Schulter.

„Herr Walz, störe ich Sie?“

„Na ja, ein bisschen. Normalerweise spreche ich nicht beim Schneiden“, sagt der Friseur, „das hasse ich.“

Udo Walz, der Friseur. Aus Waiblingen bei Stuttgart. Seit 42 Jahren in Berlin. Zuvor in Zürich und St. Moritz. Vier Läden in Berlin, einen auf der „MS Deutschland“, drei auf Mallorca. 75 Mitarbeiter. Zwischen 180 und 200 Presseberichte im Monat. 95 Prozent Bekanntheitsgrad unter Deutschen. Ein Star, sagt der Boulevard. Ein „normaler Friseur“, findet er. Ein CDU-Mitglied, bezeugt seit Juli sein Parteibuch. Und damit ist Udo Walz der erste prominente Name aus dem Glamour-Show-Bereich – außer Uschi Glas –, mit dem sich die CDU bei dieser so außerordentlichen Wahl schmücken darf, während die SPD Name für Name ihre alte Literatengarde rekrutiert. Herrn Schröder findet Udo Walz trotzdem Klasse, „immer noch einen der besten Staatsmänner, die wir je hatten“. Am Tag, als die CDU ein bisschen Walz wurde, hatte der Walz-Presseausschnittdienst viel zu tun.

„Herr Walz, Frau Merkel ist –“

Er blickt wieder auf. Grinst.

„Starker Optikwechsel, ge’!“

„Wäre es nicht authentischer gewesen, Frau Merkel hätte ihre Frisur behalten?“

„Nein! Die Menschen heute, wir – ich nehme mich da nicht aus – sind so, sie entscheiden nach Sympathie, nicht nach der Politik. Früher bekam Frau Merkel stoßweise Briefe wegen ihrer schlechten Frisur. Heute gratulieren mir jede Woche zehn Leute dazu, wie sie jetzt aussieht. Also man merkt, die Leute beschäftigen sich mit dem Aussehen der Politiker.“

Er setzt die Schere wieder an. Will weiterschneiden.

„Okay, reden wir später?“

„Ja, klar.“

Ein Friseur klatscht nicht, findet er. Ein Friseur ist kein Geheimnisträger, weil: Wenn was rauskomme, heiße es nur, „das war der Friseur“. Darin sei er geschult. Er rede prinzipiell nicht über seine Kunden, vor allem Frau Merkel möge das gar nicht, sagt Udo Walz. Wenn er schneidet, schneidet er, und redet nicht. Eins nach dem anderen. Alles hat seine Zeit im Salon Udo Walz. Später, nachdem er die Schere in die Brusttasche gesteckt, einen letzten Blick in den Spiegel genossen haben wird, weil das sein größtes Glück sei, die neue, fertige Frisur aus seinen Händen, wird er über seine neue Partei sprechen, draußen in der Passage vor seinem Salon, bei einem Espresso und einem Wiener Würstchen, kalt, ohne Beilage.

„Herr Walz, warum sind Sie in die CDU eingetreten?“

„Weil ich ein mittelständisches Unternehmen bin. Frau Merkel hat damit überhaupt nichts zu tun. Ich hoffe, dass die CDU die Bürokratie entrümpelt.“

Der Kellner bringt den Espresso, schnippt zwei Stück Süßstoff in die Tasse, unaufgefordert. Udo Walz will kein Mandat, er will nicht gewählt werden. Das betont er. Es gehe ihm um die Arbeitgeber in Deutschland, dass ihnen das Unternehmertum erleichtert werde.

„Spüren Sie die Krise, von der alle reden?“

„Also, wir hatten keine Krise. Aber rechnen muss ich auch. Ich mache ein Bombengeschäft, das stimmt, aber ich zahle auch bombig Steuern.“

Udo Walz kippt den Zucker aus dem Tütchen in den Espresso. Trinkt. Udo Walz ist Diabetiker. Bekennender. Er setzt sich regelmäßig für Aufklärung ein. Es ist nur ein Widerspruch, ein kleiner, der so typisch ist für Udo Walz. Sein Erfolgsgeheimnis sei, dass er keines habe. Er lebt mit seinem Lebensgefährten zusammen, ist aber gegen die Homoehe, denn Ehe habe mit Familie zu tun, hätte aber gerne Kinder adoptiert, aus Entwicklungsländern, damit sie wenigstens in einem weißen Bettchen aufwachten. Nun ist er in der CDU – die die Homoehe verfassungsrechtlich gezwungenermaßen durchgewunken hat, aber strikt gegen Adoption ist. Viele hätten ihm deshalb einen Vorwurf gemacht, sogar Drohbriefe habe er bekommen, sie würden ihm den Schwanz abschneiden, erzählt Udo Walz. Er macht große Augen, als ob er das selbst nicht glauben könne. Aber warum sollte er politisch neutral bleiben in der Öffentlichkeit, fragt Udo Walz. Schließlich gehe er auch wählen, wie die meisten Bürger.

„Sie hätten die CDU ja einfach wählen können. Warum die Mitgliedschaft?“

„Na ja, das ist ja eine ganz banale Geschichte, die CDU war schneller. Ich finde die FDP auch hervorragend, ich war mit Herrn Westerwelle einmal bei Wolfgang Joop essen, und seine Standpunkte waren genial. Er ist auch Kunde bei mir. Aber die FDP kam nicht auf mich zu.“

Udo Walz blickt auf, ein Bote steht neben ihm am Tischchen, einen großen Strauß Blumen in den Händen. Sie sind für ihn, Udo Walz. Er liest das Kärtchen, lächelt, goutiert die nette Geste. Es ist eine unprätentiöse Lust an der Aufmerksamkeit, die Udo Walz genießt. Er gehe über keinen roten Teppich mehr, keine Lust. Er gehe selten auf Partys, obwohl die Presse immer schreibe, dass er da gewesen sei, denn auf der Gästeliste steht er immer. Er dreht Serien, „Typisch Udo“, oder beehrt den „ZDF-Sommergarten“, Werbespots für Udo Walz seien diese Auftritte, keine Zurschaustellung der privaten Seite, eine Form der Aufmerksamkeit, bei der er sich nebenbei bombig amüsiere. Wenn er an die Drehs zurückdenkt, platzt immer noch ein Lachen aus ihm heraus, plötzlich und laut, tief aus dem Bauch. „Das ist die Eitelkeit des Friseurs“, sagt Udo Walz. Vielleicht stimmt die Chemie gerade deshalb so gut bei so vielen in der Medienrepublik.

Normalerweise steht er in seinem Salon, jeden Tag von neun bis 19 Uhr. Schwäbische Disziplin, so sei er erzogen worden, auch wenn er sein Schwabentum abgelegt habe, seit er mit 18 Jahren von zu Hause weggegangen ist. „Schaffe, schaffe, aber kein Häusle gebaut“, sagt der Friseur. Er lebe lieber, statt zu sparen. Dass er seine Lebensversicherung schon jetzt ausbezahlt bekommen habe, weil er so alt sei, also über 60 – 61, um genau zu sein –, findet er „geil, oder?“

Er mustert noch einmal die geföhnte, gewachste, gesprayte Meg-Ryan-Frisur. Zupft noch einmal an den Spitzen. „Sieht toll aus“, sagt der Friseur. Zeit zum Abschiednehmen von der Handwerkstatt Walz. „Bis zum nächsten Mal? Dann mit leichter Aufhellung? 40 Prozent für Journalisten.“ Und dann lächelt Udo Walz ein letztes Mal, mit seinem knautschigen Fozzibär-Gesicht, auf seinem Bauch flusen immer noch Haare in kleinen Büscheln. Wie die voraussichtliche Mehrheit wird er im September in Deutschland den Wechsel herbeiwählen: keine Ideologen, sondern Handwerker. Keine Stimmungstäter, Pragmatiker. Schwaben, die durch die kosmopolitische Schule gegangen sind.