piwik no script img

Naturschutz statt Kunst

Das Föhrer Museum Kunst der Westküste erzählt mit „Odissea“ von Susanne Kessler auch von den schwierigen Wegen eines Ausstellungs­projekts

Die Umrisse des verworren-dunklen südamerika­nischen Kontinents musste Kessler an die Museumswand hängen, statt sie im Wattenmeer schwimmen zu lassen Foto: Museum Kunst der Westküste

Von Föhr Frank Keil

Die Geschichte der Ausstellung „Odissea“ beginnt, da ist Susanne Kessler im Jahr 2016 Gaststipendiatin des Museums Kunst der Westküste auf Föhr. Dem Museumsteam war zehn Jahre zuvor ihre Arbeit „The Flying Temple“ aufgefallen und in Erinnerung geblieben, an die sich vielleicht im weitesten Sinne anknüpfen ließe: 2006 hatte Kessler, die in Berlin und Rom lebt und arbeitet, vor Büsum auf einem 1978 dem Meer abgetrotzten Landstück die Grundlinien eines vor 2.500 Jahren bei Paestum errichteten Tempels nachgezeichnet; gleichfalls auf einem Stück Land, das zuvor unter Wasser stand.

Nun also war Susanne Kessler auf Föhr, streifte über die Insel, schaute auf das hier eher trübe Wattenmeer, fertigte Aquarellstudien davon. Und stieß, wieder im Trockenen, in einem Lexikon über Föhr ganz nebenbei auf eine kleine Abbildung seltsamer, scheinbar wirrer Linien. Gezackt springen sie vor und zurück, ergeben kein Muster, bleiben prägnant und unbestimmt zugleich, was ihr Interesse weckte.

Kessler ging für ihre Recherche zeitlich weit zurück, in den Frühsommer des Jahres 1905. Damals sticht von Föhr aus unter dem Kommando des nur 29-jährigen Föhrer Kapitäns Christian Simon Jürgens das Dreimastvollschiff „Susanna“ in See. Sie soll Kohle geladen zu den Salpeterminen im entfernten Südchile transportieren, rund um das berüchtigte Kap Hoorn an der Spitze Südamerikas. Und das wird nicht so einfach gelingen.

Denn heimtückische Stürme drängen das Schiff immer wieder vom Kurs ab. Treiben es nordwärts, südwärts, west- und ostwärts und zurück. Treibeis kommt hinzu. Als die „Susanna“ schließlich nach 99 Tagen auf die andere Seite des Kaps gelangt ist, liegen von den 26 Mann Besatzung 18 unter Deck, krank oder verletzt oder beides. Und die „Susanna“ hält seitdem einen speziellen Weltrekord: Sie ist das Schiff mit der längsten Kap-Hoorn-Umrundung aller Zeiten – und das wird sie wohl bleiben.

Geblieben ist die Geschichte dieser irrwitzigen Fahrt. Rund 30 andere Schiffe hatten in jenem Sturmwinter die Umrundung abgebrochen. Geblieben ist – in der Sammlung des Deutschen Wetterdienstes in Hamburg – das meteorologische Tagebuch, in dem akribisch alle vier Stunden Angaben zu Windstärken und Windrichtungen, zu Luft- und Wassertemperatur, zu Luftdruck und Seegang eingetragen sind. Und geblieben ist ebenjene ­Zickzacklinien-Abbildung, die den Kurs der „Susanna“ visualisiert, von Tag 1 bis Tag 99.

Was ein Stoff! Was für eine Herausforderung auch, eine Schiffsreise in ein Kunstprojekt zu übersetzen und dabei auch das Spannungsverhältnis zwischen Abstraktion und Realisation auszuloten. Deshalb musste die Idee überzeugen, die Susanne Kessler entwickelte: die Zeichnung mit ihren eigenartigen Linien und Halte- und Wendepunkten, gebannt auf eine schlichte Buchseite, in eine 40 mal 60 Meter umspannende, bewegliche Skulptur umzuwandeln, die flächig im Wattenmeer angebracht und dem nie gleichförmigen Wechsel der Gezeiten ausgesetzt, sich heben und senken würde. Mit dem Nebeneffekt, dass das Föhrer Kunstmuseum für einige Monate eine Dependance im Wattenmeer haben würde, draußen an der wilden, frischen Luft.

Doch es kam anders. Nicht wegen technischer Widrigkeiten. Sondern weil die örtlichen Behörden um Erlaubnis zu fragen waren. Denn das Föhrer Wattenmeer ist Teil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer und damit vor jeglichem Eingriff zu bewahren. Es half nichts, dass Kessler Kastanienbaumstämme einzusetzen gedacht hatte, Bambusstäbe und Schläuche aus Baumwolle, umweltfreundliche ­Materialien also. Dass sie akribisch jeden Schritt des Aufbaus wie auch des Abbaus schriftlich dokumentierte und es nicht an erklärenden und vermittelnden Worten fehlen ließ – die Installationskünstlerin bekam keine Erlaubnis für ihr Projekt erteilt.

Susanne Kessler sattelte um. Kurzzeitig betrübt zwar, konzentriert sie sich immer wieder aufs Neue auf den Heureka-Moment ihrer Entdeckung – und das macht die Magie der Ausstellung aus: Immer wieder von vorn befragt sie die kleine Lexikon-Zeichnung, untersucht sie, interpretiert sie. Entwickelt dar­aus wandfüllende Arbeiten aus Bambus, Draht und schwarzem Schlauch auf Hartfaserplatten. Mal zeigen diese die Umrisse des verworren-dunklen südamerikanischen Kontinents, der so schwer zu umrunden war, dann wieder hebt sich das Bild der Insel Föhr hervor, idyllisch fast, mit Vorland und Hauptland, klar zu unterscheiden.

Fragile Näharbeiten mittels Zickzackstich sind zu begutachten, in denen Kessler einerseits der puren Linie eine handwerkliche Entsprechung zu geben sucht, so wie die eingenähten Seekarten und Landumrisse, aber auch als eine Hommage an die Frauen verstanden werden dürfen, die einst an Land zurückblieben, zum Warten verpflichtet, und die nicht wussten, ob und in welchem Zustand ihre Männer oder Söhne von See zurückkehren würden.

Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer ist vor jeglichem Eingriff zu bewahren. Die Installations­künstlerin bekam keine Erlaubnis

Zeitzeugenberichte sind begleitend zu lesen und vor allem zu hören, historische Abbildungen und Fotografien der „Susanna“ zu sehen, Auszüge des Logbuchs und Studien und Notizen der Künstlerin, die von ihrem Annäherungsprozess erzählen und von ihren Lektüre­erfahrungen von Homers „Odyssee“, manchmal wie ein Mini-Relief in einem Koffer untergebracht und auch geschützt. Wie Kesslers geplante Außeninstallation hätte wirken können, zeigt ein Video der Probearbeiten.

Nicht fehlen darf auch das „Lebensbuch“, das Susanne Kessler zu jeder ihrer Installationen verfasst und fertigt, in dem sie ihre Gedanken niederschreibt oder -malt. In diesem Fall wird das erst abgeschlossen und in ihrer „Lebensbibliothek“ eingeordnet sein, wenn eines Tages ihre Ursprungsidee der überlebensgroßen Zeichnung im Wasser dann doch im Wattenmeer umgesetzt worden ist.

Und die „Susanna“? Kapitän Jürgens fährt mit seinem Schiff nicht schnurstracks heim, sondern muss noch Australien anlaufen, dazu den Pazifik überqueren. Erst dann geht es zurück nach Europa, um Kap Hoorn herum, diesmal ohne jegliche Schwierigkeit. 1908, nach mehr als zweieinhalb Jahren, wieder auf Föhr angekommen, verabschiedet er sich sogleich von der Seefahrt. Er wird Bauer, betreibt mit seiner Frau einen Hof in Oldsum, recht solide im Landesinneren angesiedelt. Für ihn lohnt es sich: Er wird 84 Jahre alt werden.

Bis 6. Januar 2019: Museum Kunst der Westküste, Hauptstraße 1, 25938 Alkersum, Föhr.Katalog:„Susanne Kessler – Odissea“. 64 Seiten, 15,95 EuroBroschüre:„99 Tage um Kap Hoorn“. 24 Seiten, 5,95 Euro. Beide im Boyens-Verlag

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen