schlagloch: Die Rechte als lumpige Farce
Schon Karl Marx wusste: Jede Tragödie kehrt als Farce zurück. Diese Erkenntnis hilft ungemein, den Rechtsruck in Deutschland und der Welt zu verstehen
Georg Seeßlen, geboren 1948 in München, ist freier Journalist und Autor. Im April veröffentliche er zusammen mit Markus Metz „Der Rechtsruck. Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels“ bei Bertz + Fischer, Berlin
Die Schlagloch-Vorschau:
30. 10.
Nora Bossong
6. 11.
Ilija Trojanow
13. 11.
Charlotte Wiedemann
20. 11.
Jagoda Marinić
27. 11.
Hilal Sezgin
Er ist zwar fast schon zu Tode zitiert worden, der Karl-Marx-Satz vom Anfang des „18. Brumaire des Louis Bonaparte“. Er ist auch wissenschaftlich nicht wirklich belegbar, sodass wir ihn wohl irgendwo zwischen Theorie-Poesie und Erfahrung ansiedeln können. Aber zur Zeit kommt er wie eine Aufwach-Ohrfeige über uns Kinder der späten Moderne: „Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“
Was anderes denn als eine „lumpige Farce“ kommt uns in den Sinn, wenn wir uns die Bewegungen, Interessen und Personen betrachten, die derzeit das Erbe der antidemokratischen Rechten und der alten Faschismen antreten? Auf die große Tragödie, die der Faschismus über die Welt gebracht hat, folgen nun Dutzende von lumpigen Farcen. Eine Farce ist indes nicht ungefährlich, nur weil ihr das Zeug zur großen Tragödie fehlt. Sie hat im Gegenteil auch schärfere und tückischere Elemente, ihre Unverschämtheit karnevalisiert Gewalt, Betrug, Terror und Ausbeutung. Die Farce dringt durch, wo die Tragödie enden musste.
Der gegenwärtige Rechtsruck mag die Wiederkehr von Nationalismus, Faschismus, Rassismus und Antidemokratie als Farce bedeuten. Die Farce im Theater, im Kino oder in den Comics ist eine Art der Darstellung von Konflikten (ohne traditionelle „Handlung“, ohne moralische Konklusion, ohne kathartische Absicht, wie uns die einschlägigen Gattungsdefinitionen erklären), in der die Menschen als korrupt, feig, hinterhältig, gierig, blöd und brutal gezeigt werden können, ohne beim Publikum Empörung auszulösen. Die Farce verbindet Bosheit mit Lust. Zum Wesen der Farce gehört es, dass Konflikte, Probleme und Bedrohungen zum größten Teil auf Einbildungen oder Verwechslungen basieren. Genau so funktionieren „Pension Schöller“, Louis-de-Funès-Filme oder „The Simpsons“.
Natürlich lässt sich, ganz ohne Verharmlosung, der Aufstieg der aktuellen deutschen Rechten, von den Elite-Kadern der „Neuen Rechten“ über die „metapolitischen“ Aktivitäten der „Identitären“ bis zum Rechtspopulismus der AfD als Wiederkehr des deutschen Faschismus in Form der Farce ansehen. Farcen werden aufgeführt, um ein Ventil zu öffnen und um von anderen, weniger widersinnigen Dingen abzulenken. Die Farce ist eine mehr oder weniger kultivierte Form der Bösartigkeit, bei der sich am Ende allerdings alles in Luft auflöst.
Die rechte Farce ist zugleich ein Spiel um Macht und Geld und ein gewaltiges Ablenkungsmanöver. Mit der allgegenwärtigen Rechten verschafft sich der Neoliberalismus noch einmal Zeit; die Menschen schauen, egal ob begeistert oder entsetzt, auf Hetze, Mord, Betrug und schlichte Idiotie und vergessen dabei, was wirklich notwendig wäre, den Planeten, die Menschen und die Menschlichkeit, die Hoffnung und die Zukunft zu retten. Auch die Allianz von Kapitalismus und Rechtsextremismus hat Vorläufer mit tragischem Ausgang. Dass sie sich nun als Farce wiederholt, hat zwar Auswirkungen auf die Form – die Sinn- und Morallosigkeit der Zerstörungswut wird nicht verborgen –, macht sie deswegen aber nicht weniger destruktiv.
Die Farcehaftigkeit der neuen Rechten und vor allem ihrer populärsten Vertreter, die das Karnevaleske, das Obszöne, das Irrationale ihrer Performance gar nicht verbergen, ist nur ein Aspekt unter vielen; so gibt es Dutzende von mehr oder weniger stichhaltigen Begründungen für den bemerkenswerten Rechtsruck der deutschen Gesellschaft im Allgemeinen, den in den östlichen Ländern der Berliner Republik im Besonderen. Einen hab ich noch:
Die AfD verspricht eine rechtsextreme Simulation der alten DDR. Sie verspricht schließlich die Rekonstruktion all dessen, was im großen deutschen Narrativ als das gilt, was durch die „friedliche Revolution“ nebst anschließender Wiedervereinigung überwunden worden sein soll:
– Das Einmauern der Bevölkerung, was angeblich der Abwehr böser Kräfte dienen soll.
– Gesinnungsschnüffelei und Gesinnungsterror bis in die Verzweigungen des Alltags hinein.
– Die Bereitschaft, den Führern und Kadern einer Partei bedingungslos zu folgen, auch wenn sie sich selbst widerspricht oder kontrafaktischen Blödsinn verbreitet.
– Das sonderbare Vergnügen an Aufmärschen und anderen kollektiven Kundgebungen bzw. Kundgebungen der Kollektivierung. Das Fahnenschwingen, Uniformieren, Marschieren.
– Erklärung der Welt als Verschwörung, die Bezeichnung des anderen als „dekadent“ und „zersetzend“, das fundamentale „Wir“ gegen „die anderen“.
– Die kategorische Ablehnung und gewaltsame Verfolgung einer kritischen, dissidenten oder auch nur differenzierenden Presse. Das Misstrauen gegen alles „Intellektuelle“.
– Die Ablehnung von allem, was an Kultur und Kunst sich nicht an den eigenen Kanon des bestätigenden, propagandistischen Realismus hält.
– Das Versprechen eines ebenso starken wie fürsorglichen Staates, der für die Seinen sorgt.
– Der Hang zu leeren Symbolen, Riten und Floskeln, die mantrahafte Wiederholung von Parolen, die Bezeichnung für alles, was von außen oder aus individuellem Bewusstsein kommt, als „Lüge“.
– Die Sucht nach Organisation und Hyperorganisation des Lebens.
Die Liste ließe sich fortsetzen bis zu einer Wiederkehr des Personenkults. Am Ende lassen sich sogar Alexander Gauland und Alice Weidel als Farce-Wiedergänger von Erich und Margot Honecker sehen: die grau-miese Maske der Spießbürgerlichkeit vor einem System von Gewalt, Unterdrückung und Lüge. Haben wir schon erwähnt, dass eine Farce immer auch ein Spiel mit dem „Geschmacklosen“ ist?
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