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Kolumne BuchmessernEin Klecks als kleine Kathedrale

Nina Apin
Kolumne
von Nina Apin

Auf dem Frankfurter Messegelände gibt es ein neues Wahrzeichen. Man hört Auftritte von Autoren, lauscht der Krisenstimmung der Buchbranche.

Für Begeisterung sorgt der neue Frankfurter Pavillon auf der Buchmesse spätesten von innen Foto: dpa

D as neue Wahrzeichen der Buchmesse sieht von oben betrachtet aus wie ein Klecks Sahne oder ein Baiserhäubchen. Einen ikonischen Bau nennen es die Veranstalter. Mickrig sei es, ein Kuhfladen geradezu, lästern die Fachbesucher, die am Vormittag, auf Laufbändern fahrend, von oben auf den „Frankfurt Pavilion“ herunterschauen.

Warum das ­konservative Gemoser, wo doch triste Messe­ar­chi­tektur die ­Szenerie be­herrscht – Sperrholz-­Ver­richtungsboxen für Kundengespräche plus angeschlossenen Kaffeebars? Da ist die weiße Schnecke doch mal eine Variation? Doch im 70. Jahr der Buchmesse haben die angereisten Fachbesucher wohl andere Sorgen: Die Kleinen stöhnen unter gestiegenen Eintrittspreisen und zusammengesparten Serviceleistungen, einige sind gar nicht mehr gekommen.

Der Rest der Branche pflegt Krisenstimmung. Im Vergleich zu der Wirtshausschlägereiatmosphäre von 2017, die sich an der Präsenz rechter Verlage entzündete, ist die Stimmung dieses Jahr leiser, besorgter: Was bedeuten die personellen Umbrüche bei Rowohlt wirklich? Geht es Fischer echt so schlecht, dass sie keinen Empfang mehr ausrichten können?

Das Wetter ist traumhaft

Am taz-Stand in Halle 4.1 ist man auch nicht gut zu sprechen auf den „Frankfurt Pavilion“. Um ihn nicht zu überstrahlen, sei der taz verboten worden, den eigens für Regen angefertigten roten Minipavillon aufzubauen. Zum Glück ist das Wetter traumhaft. Alle sitzen mittags draußen, essen Burger – und einige spült es dann doch aus Neugierde in den „Pavilion“.

Eine Schülergruppe bewundert die wie eine Doppelhelix sich zur Decke hinaufschraubenden Holzbalken, einer legt sich in die bücherregalartigen Querstreben hinein, ohne dass ihn jemand verscheucht. „Ein schöner Messebau – geht doch!“, ruft ein Robert-Seethaler-Fan aus, der schon eine Viertelstunde vor der Lesung des österreichischen Bestsellerautors Platz genommen hat. Als See­thaler aus seinem Roman „Das Feld“ über das Sterben und die Liebe liest und sich bockig, aber charmant den Fragen des Moderators entzieht, wird seine Stimme weit durch den Raum getragen.

Immer mehr Männer in dunklen Anzügen mit Knopf im Ohr strömen herein. Auftritt Thilo Sarrazin. Der SPD-Politiker liest aus seiner neuen islamophoben Kampfschrift Feindliche Übernahme

Als kleine Kathedrale der Begeistung funktioniert der Klecks also bestens. Schade, dass das Programm – Eröffnungs- und Buchpreisrede, dazwischen eine Diskussion über Südostasien, ein CEO-Talk und eben See­tha­ler – so beliebig ist. Da sind aber noch die anderen Bühnen – etwa das jurtige Lesezelt, in dem man einer Feminismusdiskussion mit Bascha Mika beiwohnen kann. Und dann bemerkt, wie immer mehr Männer in dunklen Anzügen mit Knopf im Ohr hereinströmen.

Unterwerfung des Abendlands

Auftritt Thilo Sarrazin. Der SPD-Politiker behauptet: „Hätte meine Partei auf mich gehört, gäbe es heute keine AfD im Deutschen Bundestag.“ Dann liest er aus seiner neuen islamophoben Kampfschrift „Feindliche Übernahme“. Besser gesagt: Er stottert sich, den Blick aufs Manuskript geheftet, im Stehen durch seine selbst gebastelte Koran­auslegung. Demografische „Sprengkraft“, Unterwerfung des Abendlands, die ganze Packung. Die Reihen lichten sich schnell.

Die echten Rechten sitzen derweil in Halle 4.1., verbannt in eine Sackgasse – oder haben sich mittels eines Tarnkäppchens wieder mitten reingesetzt in die Szene, so wie Götz Kubi­tschek, der seinen Anthaios-Verlag verkauft und in „Loci“ umbenannt hat, worüber viel getuschelt wird in den Gängen.

Ab Nachmittag nimmt das Tuscheln überhand. Wer darf mit zum Kritikerempfang bei Suhrkamp? Müsste man nicht eher zu Rowohlt dieses Jahr, da soll es gerüchteweise eine Enthüllung geben?

In der Unseld-Villa im Westend gelandet, bereut man die Traditionsentscheidung nicht. Der Weißwein ist gut, der Garten herrlich. Und unversehens findet man sich in Unselds privatem Arbeitszimmer wieder. Der Schreibtisch ist unberührt, drei wuchtige Diktiergeräte stehen darauf und eine kleine Elefantensammlung – das waren seine Krafttiere, wie Cheflektor Raimund Fellinger, selbst Suhrkamp-Legende, erzählt. Erstaunlich banal. Unten im Keller, direkt neben dem Klo, lagern in einem Regal sämtliche Werke von Ursula Unseld-Berkéwicz … direkt daneben ein Foto von Marilyn Monroe, Joyce lesend, vollkommenes Unverständnis im Blick.

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Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
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