Scholli wird Kult

Der FC Bayern München findet mit dem 3:0 gegen die Berliner Hertha sein Standardergebnis für die neue Arena. Das Spiel ist allerdings eher fade, zumindest bis Mehmet Scholl eingewechselt wird

„Wir haben nun mit neun Punkten das Maximale erreicht, bevor es jetzt im September so richtig losgeht“

AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER

Ein kurzer Wink und schon bricht der Jubel los. Was muss das für ein Gefühl der Macht sein! Doch die Begeisterung gilt nicht Seppo Eichkorn, dem Assistent von Bayern-Trainer Felix Magath, sondern dem Herbeibefohlenen. Bis zur 80. Minute hatte Mehmet Scholl mit den Kollegen Schweinsteiger, Guerrero und Ottl auf die dritte und letzte Einwechslung gewartet – viel zu lange für den Geschmack der meisten Fans. Als Scholl dann endlich Richtung Wechselzone traben und das gelbe Leibchen ausziehen darf, brandet schon vorfreudiger Applaus auf: Endlich kommt einer, der Fußball spielt. Brave Klatscher für den diesmal schwachen Zé Roberto, der seinen Platz räumen muss, volle Lautstärke, als Stadionsprecher Stefan Lehmann den Namen des Neuen fordert: „Mit der Nummer sieben: Mehmet …“ 66.000-fache Brüllantwort: Scholl!!! Allmählich entwickelt sich so etwas wie Kult um den fragilen Mann mit der wunderbaren Begabung.

Die zehn Minuten mit Scholl waren die schönsten bei diesem weitgehend faden 3:0, dem zwölften FCB-Triumph in Serie, dem 500. Bundesliga-Heimsieg der Bayern. Nach zwei Minuten gelingt Scholl fast das 2:0, doch sein Schuss wird abgeblockt. Dafür schlägt er dann drei Minuten später zu: Michael Ballack schaufelt ihm den Ball punktgenau auf den wieder kurz geschorenen Schädel – und Scholls 84. Bayern-Treffer im 303. Bundesligaspiel ist perfekt, das erste Kopfballtor seit vier Jahren überdies. Roy Makaay, der zuvor zwei Herthaner auf sich gezogen hatte, sagt: „Dass ich das noch mal erleben darf, dass der Scholli ein Kopfballtor macht!“ Spielkamerad Sebastian Deisler weiß: „So ein schöner Kopfball – das passiert ihm nie mehr wieder.“ Logisch, dass nach dem großen Knuddeln auch noch der Dezibelrekord in der Allianz-Arena gebrochen wird: „Torschütze mit der Nummer sieben: Mehmet …“

Und so findet sich der Meister nach drei Spieltagen bereits wieder allein auf weiter Flur: Elf Tore, nur zwei Gegentreffer, neun Punkte, schon zwei mehr als die Konkurrenz. Könnte eine fade Saison werden. Gerade daheim in der Allianz-Arena könnte das bisherige Standardergebnis (3:0 gegen Gladbach und Hertha) zur schönen Gewohnheit werden: Auch Hannover, Wolfsburg und Duisburg werden den Bayern demnächst wohl kaum alles abverlangen; erst im November kommt mit Bremen ein dickerer Brocken. Bis dahin wird man es mit massiven Abwehrverbänden zu tun bekommen, die, wie diesmal die Hertha, wenig Interesse an der Spielgestaltung mitbringen. Der Exberliner Sebastian Deisler, bei seiner Einwechslung von den Ultras übel beschimpft, wunderte sich: „Die wollten ja gar nicht gewinnen, die haben einfach nur mitgespielt und darauf gewartet, dass wir das zweite und dritte Tor machen. Vielleicht wollten die sich 60 Minuten lang erst mal das Stadion anschauen.“ Auch Michael Ballack konnte der defensiven bis destruktiven Gästetaktik nicht viel abgewinnen: „Die haben ja mit vier Innenverteidigern gespielt.“

Felix Magath war von der Antihaltung der Berliner hingegen nicht überrascht: „Ich wusste, dass es ein Geduldsspiel wird. Wir haben die Aufgabe gut gelöst, doch das Ergebnis täuscht über den Spielverlauf hinweg.“ Wohl wahr: Sowohl Pizarro als auch Zé Roberto sowie später Deisler sind noch Fremdkörper in der Mannschaft. Den Führungstreffer verdankten die Bayern Berlins Nationalverteidiger Arne Friedrich, der Ballacks Freistoß ebenso unglücklich wie unhaltbar abfälschte. Und vor den schönen Scholl-Minuten am Ende hatte die Bayern-Offensive meist nur aus hohen Bällen in den Strafraum bestanden. Gut, das fatale Defensivverhalten der Berliner bei den Toren von Scholl und Makaay muss man auch erst mal nutzen, aber von überragender spielerischer Klasse konnte wahrlich nicht die Rede sein.

Magath weiß, dass sein Team noch nicht so gut ist, wie es die Tabelle derzeit glauben macht und tritt folglich mit beiden Füßen auf die Euphoriebremse: „Wir haben nun mit neun Punkten das Maximale erreicht, bevor es jetzt im September so richtig losgeht.“ In zwei Wochen beginnt die Champions League und damit die gefürchtete Mehrbelastung. „Da werden wir noch den ein oder anderen Punkt lassen müssen“, weiß Magath. Angst und bange muss ihm allerdings auch nicht werden: Die Reservebank ist ja bestens besetzt. Mehmet Scholl zum Beispiel würde „gern mal wieder 90 Minuten spielen“ anstatt nur die letzten zehn. Andererseits: „Solange wir gewinnen, ist das in Ordnung.“

Bayern München: Kahn - Sagnol, Lucio, Ismael, Lizarazu (51. Jeremies) - Hargreaves - Karimi (61. Deisler), Ballack, Zé Roberto (81. Scholl) - Makaay, Pizarro Hertha BSC: Tremmel - Friedrich, van Burik, Madlung, Simunic - Kovac (56. Okoronkwo) - Marx (67. Boateng/70. Samba), Bastürk, Neuendorf - Marcelinho, Rafael Schiedsrichter: Kinhöfer (Herne); Zuschauer: 66.000 (ausverkauft); Tore: 1:0 Ballack (47.), 2:0 Scholl (85.), 3:0 Makaay (87.)