der rote faden
: Mit Grundgesetz und Regenbogen-Flatterband

Foto: Sebastian Wagner

Durch die Woche mit Nina Apin

Montagmorgen, Bayern hat gewählt, und man hätte sich jetzt gern mal richtig gefreut. Aber das bayerische Wahlvolk hat den Watschnbaum für die CSU eben nur wackeln, aber nicht ganz umfallen lassen. Der Champagner, den ich im Ressort ausgeben wollte, falls die CSU unter 35 Prozent kommt, bleibt also ungekauft. Und wie geil ist ein grünes Traumergebnis wirklich, wenn die anderen beiden im linken Lager nix reißen – und eine Partei gute zehn Prozent holt, deren Spitzenkandidat öffentlich verbreitet hatte, dass „Neger“ und andere Asylbewerber das Land „bereichert“ hätten – mit Aids, Turberkulose und Krätze?

Champagner

Ich hätte kotzen können. Aber vor allem musste ich mich kratzen. Dauernd. Am Kopf. Die KollegInnen, die sich über ihre Erlebnisse auf der #unteilbar-Demo am Wochenende austauschten, haben das vielleicht als Verlegenheitsgeste interpretiert. Denn ich war nicht bei der Demo. Aber dazu später. Das Kratzen wurde verursacht durch Läuse. „Bestimmt aus der Problemschule“, witzelte mein Partner, bevor wir das vermeintlich entlauste jüngere Kind in die Brennpunktschule um die Ecke schickten. „Wetten, die Viecher stammen von den Öko-Kindern aus der anderen Schule?“, konterte ich, als ich das größere Kind zum Bildungsinstitut mit tadelloser Mittelschichtsreputation fuhr.

Von schwarzem Humor ließen sich die stattlichen Oschis mit den Krabbelbeinen ebenso wenig beeindrucken wie von der eilig am frühen Montagmorgen angewendeten Läusekur. Während wir in der taz darüber diskutierten, ob es okay ist, mit einer Deutschlandfahne für die offene Gesellschaft zu demonstrieren, und was es über die Toleranz von linken Demogängern aussagt, wenn TrägerInnen der Landesfahne dort angepöbelt werden, kribbelte es bei mir schon wieder.

Läuse

„Warum warst du denn nicht bei der Demo?“, wollte eine Kollegin wissen. Einfachste Erklärung: Die Kinder wollten nicht, sie hatten andere Pläne, als in einer Menschenmasse durch die Innenstadt zu trotten. Und als Demokratin respektiere ich natürlich den Willen auch der jüngsten Familienmitglieder. Allerdings hatte mein Fernbleiben auch damit zu tun, dass ich einfach nicht wusste, in welchen Slogan ich mein Gefühl (das ich ja habe) fassen soll, dass es jetzt mal reicht mit der Hitlergrüßerei und den rechten Machtdemonstrationen auf deutschen Straßen. Aber wie übersetzt man ein Gefühl in die Sprache der Straße?

„Offene Gesellschaft verteidigen“? Gähn. „I love Grundgesetz“? Zu blutleer. „Für ein Deutschland ohne -ismus“? Zu verkopft, außerdem bin ich ja für Parlamentar-ismus. Und auch für Verfassungspatriot-ismus. Das gute alte „Nazis raus“? Zu platt. Hätten die Kinder mitgewollt, hätte ich wohl eine broschierte Ausgabe des Grundgesetzes geschwenkt und ein Regenbogen-Flatterband. Stattdessen am Wochenanfang eine unbestimmte Reue, heimliche Erleichterung dann, als eine Freundin zögernd von ihrem Unwohlsein erzählt, als sie sich zwischen „Deutschland, halt’s Maul“-Transpis und BDS-Aufrufen wiederfand, und ein anhaltendes Jucken, das sich erst zur Wochenmitte besserte.

-ismus

Mit flatterndem Sauberhaar radelte ich Mitte der Woche am Kanzleramt vorbei, vor dem sich ein Grüppchen AfDler postiert hatte: „Der Islam gehört zu Merkel, aber Merkel nicht zu Europa“, stand auf ihrem Plakat. Das Smartphone hatten sie schon im Anschlag, um die Echokammern des Internets mit ihrer Botschaft zu füttern. Auch wenn die eigentlich bloß lautet: Muslime raus, Merkel weg und Europa muss „weiß“ werden.

Mittagskantine

Wie das immer so ist, der größte Schmarrn bleibt hängen im Hirn. So macht man Demo-Plakate: Bedenken second. Aber Bedenken sind quasi mein zweiter Vorname. Das zeigt sich nicht nur daran, dass die Demo, der ich mich bedingungslos anschließen würde, wohl erst noch erfunden werden muss. Im Kleinen geht das schon beim Essen los: Die Woche, in der das taz Café, verlässliche Mittagskantine hohen Niveaus, umzugsbedingt geschlossen hat, ist für mich die Hölle. Jeden Mittag Bedenken-Festspiele. Aufwendig belegte Hummus-Sandwiches, noch aufwendiger in Plastik verpackt? Den Bäckereigiganten unterstützen, der seine Verkäuferinnen zur Weihnachtszeit Leuchtgeweihe aufsetzen lässt? Hmm. Vielleicht einfach zum Vietnamesen? Pünktlich zur Essenszeit meldet der Ticker: BSE ist wieder aufgetaucht. Dann doch kein lauwarmer Rindfleischsalat.

Ach, lass uns einfach mal die Kantine des Arbeitsamts um die Ecke ausprobieren, sagt eine Kollegin beherzt. Mich überkommt ein wohliger Schauder: Aktengeruch an Currywurst mit Pommes, „Mahlzeit“-Gruß zu Hühnerfrikassee mit Reis. Gibt’s dann auch alles – und dazu noch pampige Gemüsespätzle. Die Kollegin sagt fassungslos: Schau mal, die haben hier echt ein Soßenbuffet! Authentische deutsche Kantinenkultur ohne Bedenken – aber mit schmeckt es dann halt doch besser.

Nächste Woche Johanna Roth