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Der Mörder und die Mörderin

Eröffnung der Saison in der Deutschen Oper und der Staatsoper: „Wozzeck“ von Alban Berg mit norwegischen Trachtenmädchen an der Bismarckstraße, „Medea“ von Luigi Cherubini im Zollager für Raubkunst Unter den Linden

Elsa Dreisig als Dircé in Luigi Cherubinis „Medea“ Foto: Bernd Uhlig

Von Niklaus Hablützel

Andrea Breth hat vor sieben Jahren für unvergessliche 90 Minuten intensivsten Musiktheaters gesorgt. Mit Daniel Barenboim am Pult entstand im Schillertheater, wohin die Staatsoper von Unter den Linden ausweichen musste, das Wunder eines vollendeten Kunstwerks. Minutiös der strengen, musikalischen Grammatik von Alban Berg folgend zeichnete die Regisseurin das ausweglose Unglück eines Mannes, der zum Mörder wird: „Wozzeck“. Es war tief bewegend und beglückend zugleich.

Die unter den Berliner Opern vereinbarte Schonfrist für Konkurrenzpremieren ist inzwischen längst vorbei, und so wagte sich die Deutsche Oper ihrerseits an eine neue Inszenierung dieses absoluten Meisterwerks der Synthese von Sprache und Musik. Mit ihrem Orchester und ihrem Chefdirigenten Donald Runnicles hat sie durchaus die Mittel für diese Herausforderung. Und so war nun wieder einmal zu hören, was in keiner anderen Oper jemals so verblüffend perfekt gelingt: Eine Musik extrem abstrakter Regeln schlägt um in die Spontaneität des Ausdrucks seelischer Zustände.

Büchner beginnt zu sprechen, deutlicher und eindringlicher, als es jemals im Sprechtheater möglich wäre. Donald Runnicles führte das Ensemble sicher und ruhig durch alle Klippen der Partitur hindurch. Johan Reuter und Elena Zhidkova sangen ihre Partien als Wozzeck und Marie so überzeugend, dass sie den Premierenapplaus am Freitag wohl verdient hatten.

Irgendwo auf dem Grund

Aber die Intendanz der Deutschen Oper hat mal wieder Ole Anders Tandberg engagiert, den sie unermüdlich zum „profiliertesten Regisseur Skandinaviens“ auslobt. Falls das zutrifft, muss man sich Sorgen um die skandinavischen Theater machen. Nach den Gummifischen für Schostakowitschs „Lady MacBeth“ und den blutrünstigen Organhändlern für Bizets „Carmen“ brachte er diesmal Fähnchen schwingende Trachtenmädchen nach Berlin. Im Programmheft ist nachzulesen, dass Büchner ein Stück über die „existenzielle Einsamkeit“ geschrieben habe, „die jeder von uns irgendwo auf dem Grund der Seele fühlt“.

Oh je, wie traurig. Zum Glück ist davon auf der Bühne nichts zu sehen. Tandberg mag es nun mal lieber lustig. Seine Regie ist eine Revue putziger Einfälle, die sich selbst genügen. Der Hauptmann, den Wozzeck in der ersten Szene rasieren muss, trägt seine Paradeuniform und sitzt auf dem Ross eines Reiterstandbildes. Viel zu hoch also, aber neben ihm steht eine Reihe von Soldaten, die ihre Hosen herunter gelassen haben. Man sieht nur ihre Hintern und muss deshalb erraten, dass Wozzeck ihnen die Schamhaare rasiert. Bringt er deswegen seine Marie um?

In Oslo wird gerade der norwegische Unabhängigkeitstag gefeiert, die Frauen tragen Trachten, nur Marie nicht. Aber der Tambourmajor gefällt ihr gut, die anderen Soldaten schlafen an den Tischen, die im skandinavisch gepflegten Restaurant ordentlich in Reih und Glied mit weißen Decken aufgestellt sind. So geht es immer weiter an Stück und Musik vorbei, bis am Ende das Kind alleine in den grauen Videohimmel hinter der Bühne schaut.

Aber schon am Sonntag kam Andrea Breth zurück, wieder an die Staatsoper und wieder mit Daniel Barenboim. Diesmal mit einer Uraufführung. Denn „Medea“ von Luigi Cherubini passte schon bald nach der (mäßig erfolgreichen) Premiere von 1797 in Paris nicht mehr in den Opernbetrieb Europas. Es ist eine „Opera comique“ mit langen gesprochenen Passagen. Der Kapellmeister Franz Lachner komponierte 1855 Rezitative hinzu, Maria Callas machte damit noch 1957 Furore, von Cherubini war wenig zu hören.

Breth kürzte und konzen­trierte die Sprechtexte, Barenboim hielt sich an den Urtext. In ihrer unvergleichlichen Klangkultur spielt die Staatskapelle zuerst ein langes Orchesterstück dramatischer Pausen das Unglück einer Frau, die liebt zwischen leise klagenden, kurzen Motiven, die sich verschränken, verdichten und manchmal zu massiven Akkorden aufbäumen. Aber nichts schreit, alles bleibt in Form und zurückgenommen. Manches erinnert an Gluck, „klassisch“ möchte man sagen in einem neuen, modernen Sinn des Wortes.

Es ist traurig, aber Ole Anders Tandberg mag es nun mal lieber lustig

Das Unglück einer Frau

Dann geht der Vorhang auf. Martin Zehetgruber hat einen drehbares Zolllager für Kunstwerke aus Wellblech und Beton gebaut – eine doppelte Anspielung auf das Chicksal Cherubinis und den Zynismus des Kapitals. Andrea Breth beginnt darin ihre unerbittlich genaue Analyse von Personen und Situation. Wie schon bei Berg folgt sie auch hier der Diktion der Musik. Nie schreiend, immer zurückhaltend, zögernd fast entfaltet Sonya Soncheva das Unglück einer Frau, die liebt und darüber zur Mörderin nun wahrlich antiken Ausmaßes wird.

Es ist nicht leicht, Breth und Barenboim zu folgen, denn der Weg geht nicht nach außen zum tragischen Höhepunkt des Kindermordes, sondern nach innen, zu einem intimen Verhängnis, das jedes Gefühl erstickt. Zart bittet Medea Männer Jason (Charles Castronovo) und Kreon (Iain Paterson) um Verständnis und Nachsicht, aber Cherubinis zerbrechliche Musik treibt sie weiter in die Wunde ihrer verratenen Liebe. Gerade weil das äußere Theater immer enger wird, sprengt ihre Rache jedes vorstellbare Maß.

Große Oper ist das allemal, aber es hat nicht allen gefallen. Breth musste einige Buhrufe ertragen. Barenboim nicht. Warum auch? Er war glücklich mit dieser neuen Musik.

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