Trübsinn blasen bei Fiat

ITALIEN Zu viele alte Modelle, nicht genug investiert. Käufer laufen davon. Die Firma will mehr exportieren. Aber wohin nur?

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Fiat, so scheint es, befindet sich in einer Krise ohne Ausweg, zumindest an seinen italienischen Standorten. Das jedenfalls signalisieren die verheerenden Verkaufszahlen für die ersten acht Monate, die Fiat-Boss Sergio Marchionne letzte Woche auf seinen Tisch bekam: Danach ist der Absatz von Fiat-Modellen in ganz Europa um mehr als 16 Prozent geschrumpft. Auf dem Heimatmarkt brach der Verkauf gar um 20 Prozent ein. Der Anteil von Fiat auf dem europäischen Markt sank auf 6,5 Prozent.

Noch im Jahr 2009 hatte Marchionne triumphal verkündet, unter dem neuen Namen „Fabbrica Italia“ werde das Traditionshaus aus Turin durchstarten. Bis zum Jahr 2014 sollte sich die Pkw-Produktion in den vier italienischen Werken von gut 700.000 jährlich auf 1,4 Millionen verdoppeln – dank gewaltiger Investitionen von 20 Milliarden Euro und einer Palette von mehr als einem Dutzend neuer Modelle.

Das Bild im Jahr 2012: Bis Ende Dezember werden bestenfalls 400.000 Pandas, Puntos oder Alfas die Bänder in Turin und in den drei süditalienischen Standorten Cassino, Melfi und Pomigliano verlassen haben. Kurzarbeit gehört für die dort beschäftigten 18.000 Arbeiter ebenso zum Alltag wie für die mehr als 5.000 Angestellten in den zentralen Entwicklungs- und Verwaltungsabteilungen in Turin. Die Angst geht um, Fiat könne bald ein, zwei oder gar drei Fabriken schließen.

Die Angst geht um

In einem trockenen Kommuniqué erklärte die Firma jüngst, der grandiose Plan „Fabbrica Italia“ sei nunmehr „überholt“. Es gäbe keine neuen Investitionen, keine neuen Modelle bis 2014. Schon in den vergangenen zwei Jahren konnte Fiat nur eine Milliarde Euro im Werk Pomigliano investieren. Dort wird der neue Panda gebaut, neben dem Cinquecento das einzige in den letzten Jahren neu aufgelegte Modell.

Damit steckt Fiat in einem Teufelskreis: Mit zu vielen alten Modellen – dazu noch vor allem im Kleinwagen- und unteren Mittelklassesegment – gehen die Marktanteile zurück, weshalb das Geld für Investitionen fehlt.

Marchionne tröstet sich mit guten Zahlen aus den USA: Chrysler, mittlerweile zu 61,8 Prozent in Fiat-Händen, fährt dort satte Gewinne ein – 1,2 Milliarden Euro allein im ersten Halbjahr 2012. Damit werden die 500 Millionen Verluste, die bei Fiat aufgelaufen sind, kompensiert.

Marchionne, 2004 bei seiner Berufung an die Vorstandsspitze noch als Retter der italienischen Automobilindustrie gefeiert, könnte bald als deren Totengräber in die Geschichte eingehen. Erst suchte er in einem monatelangen Konflikt um größere Arbeitszeitflexibilität die Gewerkschaften weichzukochen und zu spalten – mit Erfolg. Trotzdem blieb der Aufschwung aus. Jetzt zeichnet der Italokanadier eine neue Perspektive: Die italienischen Fabriken sollen angeblich für den „Export in außereuropäische Länder“ produzieren und damit überleben.

Nur wohin exportieren? In Brasilien baut Fiat selbst ein zweites Werk für den südamerikanischen Markt. In den USA ist Chrysler präsent. Und im größten Wachstumsmarkt Asien hat die Turiner Marke bisher kein Bein auf den Boden gekriegt.