ABGRÜNDE AM ALEX
: Waffelwinter, komm

Das Leben spielte sich nur im Dunkeln ab

Am Alexanderplatz taten sich Abgründe auf. Wie jeden Tag. Dieselben jungen Menschen, die in der letzten Woche noch mit roten Schaumstoffnasen Geld für Clowns in Krankenhäusern gesammelt hatten, trugen in dieser Woche zu große gelbe Jacken und waren nun für Amnesty International unterwegs.

Diese Veränderung schien in direktem Zusammenhang damit zu stehen, dass der Weihnachtsmarkt schon Ende Oktober wieder abgebaut wurde. Noch bevor ich meine Waffelsucht überhaupt ausleben konnte, waren die Festlichkeiten schon vorbei? Vielleicht war es auch nur das Oktoberfest gewesen. Denn die roten Nasen waren vor einem Festzeltimitat gestanden und hatten versucht, meine Blicke zu fangen. Und Mutzenmandeln gibt es schon zum Erntedank.

Und trotzdem: Es roch doch schon nach Winter am Morgen und nach Schnee in der Ferne. Und eine Idee kam auf, wie es im Winter werden könnte: Es würde großartig werden, wenn wir in den Nächten Schutz in Taxis suchten, die viel zu langsam führen und beim Abbiegen ein wenig auf der Straße rutschten. Wir würden nicht mehr so viel seufzen oder warmen Atem ausstoßen müssen. Wir könnten uns auf den klaren Rausch zurückbesinnen und uns schwindelig reden. Bis Handgelenke schutzlos offen lägen. Bis man erschrocken wäre. Um uns herum würde es klirren vor Kälte, so dass nur wir da wären und unsere Sätze. Unsere ewigen Sätze. Das Licht würde gelb sein, und das Leben spielte sich nur im Dunkeln ab. Dann würde ich die Geschichte mit dem Sattel erzählen, der einst gestohlen wurde, und du würdest dich lustig machen. Und warten. Und stärker sein als ich. Und ich würde dich fragen, wie du es wagen kannst.

Aber es war noch gar kein Winter, und es gab noch keine Waffeln. Nicht mal die Zeit war schon umgestellt. Am Alex hatte es hatte nur kurz so gerochen. LAURA EWERT