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Eine Traumfrau dreht im Kreis

Zum Saisonstart läuft in der Komischen Oper Robert Carsens Inszenierung von Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“

Tenor Ales Briscein vorne und Sara Jakubiak auf dem Videoscreen Foto: Iko Freese/drama-berlin.de

Von Niklaus Hablützel

Der Mann heißt „Paul“, seine Frau „Marie“. Marie ist tot. Sie hat wohl mal die Laute gespielt, mehr wollen uns Vater und Sohn Korngold nicht verraten, die zusammen das Textbuch für die Oper des hochbegabten, 19 Jahre alten Erich Wolfgang verfasst haben. Die Laute scheint auf einem Bild zu sehen zu sein, das auf einer Kommode im ehelichen Schlafgemach steht. Über Paul ist noch weniger in Erfahrung zu bringen. Er ist ein Mann an sich. Seine Frau ist tot. Robert Carsen, der kanadische Regisseur, lässt ihn einfach an der Rampe stehen, mit dem Rücken zum Publikum, weil er das leere Ehebett betrachten muss. So sind Männer eben, ohne Frau sind sie niemand.

Korngold, von den Nazis 1938 aus Deutschland vertrieben, machte in Hollywood Karriere als Komponist stilbildender Filmmusik. Nach 1945 war sein durchaus selbstbewusst konservatives Festhalten an spätromantischer Tonalität und Symphonik in Europa verpönt, seine Oper „Die tote Stadt“, 1920 in Hamburg und Köln mit riesigem Erfolg uraufgeführt, kehrt seit den siebziger Jahren auf die Spielpläne zurück. 1983 hat sie Götz Friedrich an der Deutschen Oper inszeniert, Robert Carsen versucht es jetzt an der Komischen Oper. Es gehört viel Mut und Handwerk dazu, denn der Stoff atmet schwer im schwülen Dunst seiner Zeit. Freud hatte Sexualität gesellschaftsfähig gemacht. Eine ganze Generation von Literaten griff gierig zu und schwelgte in feuchten Fantasien fataler Frauen. Sehr wohl auch Vater und Sohn Korngold, die sich einen symbolistischen Roman aus Belgien vornahmen, um daraus einen erotischen Mordfall zu konstruieren, der dann aber nur ein Traum sein soll.

Robert Carsen hält davon nur das eheliche Schlafgemach fest, das sich dann drei Akte lang auf der Drehbühne im Kreis dreht, bevölkert mit allerlei erotischen Posen einer schönen Frau und ihrer Männer. Nicht ganz falsch, zumal das Mobiliar die Entstehungszeit der zwanziger Jahre anzeigt, aber doch zu wenig, um die bemerkenswerten Facetten des Stücks zu zeigen. Paul, der leere Mann, kann nicht trauern um seine Marie. Er sperrt sich im Schlafzimmer ein, um sie für immer festzuhalten.

Solche Fälle gibt es noch heute, sie sind behandelbar, aber Regisseur Carsen interessiert sich nicht für das Leiden. Er erzählt brav weiter, was sich die Korngolds ausgemalt haben. Marietta, eine Tänzerin, kommt in den Erinnerungskerker, gleicht der Marie auf dem Bild bis aufs Haar. Sie kann sogar Laute spielen und sehr schön dazu singen.

Die Inszenierung wagt zu wenig, um die Facetten des Stoffs abzubilden

Carsen projiziert Überblendungen zweier nahezu gleicher Blondinenköpfe auf die Rückwand. Natürlich verliebt sich Paul sofort in die Ersatzmarie, die aber nicht mitspielen mag. Sie ist nämlich eine kleine Lulu, feiert mit ihren Liebhabern vom Theater, die Carson mit Operettenglitzer aufs Ehebett drapiert, und will den eifersüchtigen Paul nun wirklich verführen. Sängerin Sara Jakubiak schafft es tatsächlich, die Figur einer selbstbewussten Frau zu zeichnen, die mehr sein möchte als nur eine imaginäre Kopie. Ihre Marietta wirft die Ordnung des Schlafzimmers über den Haufen und geht im Unterhemd selber dem Mann an die Wäsche. Der hält das gar nicht aus. Seine Marie war rein, der Chor trägt Madonnen mit Lichterketten in den Raum. Sie lacht darüber, er drückt ihr die Kehle zu.

Manchmal entstehen daraus beeindruckende Bilder, das Ende aber ist grau. Der Freund und die Haushälterin in Arztkitteln holen Paul ab. Was von alledem Traum war und was nicht, bleibt offen. Es ist egal, Carsen will keine Fragen stellen und verpasst damit die Chancen einer modernen Lektüre dieses Zeitstücks. Leider kann auch der Tenor Ales Briscein nichts davon retten. Seine oft verschmiert intonierende Stimme klingt gequält und ist hörbar überfordert von der Rolle des Paul. Zu spielen gibt es ohnehin nichts, Paul hat keinen Charakter.

Töne aber schon, und es lohnt sich sehr wohl, Erich Korngolds Musik zu hören. Ein dichtes, wucherndes Gewebe von kleinteiligen Motiven, Klangreizen und harmonischen Effekten untermalt Gesangsstimmen von großer Ausdruckskraft. Der neue Chefdirigent Ainars Rubikis achtet auf alle Details, verliert aber in der Überfülle von Einfällen des jugendlichen Genies den Überblick über das Ganze. Das Orchester spielt kaum inspiriert, hart und manchmal holprig vor sich hin. Es hat oft mit Leidenschaft bewiesen, dass es mehr kann als in dieser Premiere am Sonntag zu hören war.

Wieder am 6., 14. und 31. 10.

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