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Der Anti-Aufklärer

WELTERKLÄRUNG Der Bildhauer Björn Dahlem zeigt im Kunstverein Braunschweig wundersame Objekte aus Alltagsgegenständen, die an der Rationalität der Welt zweifeln lassen. Was ihn antreibt, ist das Staunen

Manches Objekt sitzt jetzt etwas beklemmt, verrutscht unter der Plexiglashaube

Wer mit Bildhauerei die Vorstellung des plastischen Arbeitens in einem monolithischen Werkstoff verbindet, wird bei Björn Dahlem mit einer ganz anderen Methode konfrontiert. Dahlems wundersame Objekte, derzeit im Kunstverein Braunschweig zu sehen, sind allesamt aus vorgefundenen Alltagsgegenständen wie Kristallvasen, Tortenplatten, Uhren, Porzellanfiguren filigran montiert und entwickeln dadurch eine mehrdeutige Aura.

Oszillierend zwischen der Banalität vertrauter Belanglosigkeit und einer spirituellen Aufladung assoziieren sie Monstranzen oder rituelle Kultgerätschaften, bilden komplex chiffrierte Symbole, edel auf dem Sockel dargeboten. Oder als voluminöser Eye-Catcher wie Dahlems „Sonne“ aus alten Lampen und Glühbirnen, die in der Eingangsrotunde hängt.

Diese verunsichernde, aber auch hoch ästhetisierende Haltung nimmt der 1974 in München geborene, nach dem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie in Berlin lebende Björn Dahlem seit längerem ein. Galt sein Interesse allerdings bis vor kurzem raumgreifenden Installationen, konzentriert er sich aktuell auf kleinere Objekte, die er in Kontexten arrangiert oder, von großen weißen Polyedern aus Kunststoff begleitet, in einem Eismeer Caspar David Friedrich’scher Provenienz treiben lässt.

Die Titel der Objekte spielen mitunter direkt auf Themen der Physik und Naturwissenschaften an: „M-Zeit“ beispielweise, „Partikel“ oder „Galaxie“. Und auf sein Interesse an diesen Disziplinen kommt Dahlem auch zu sprechen, wenn er seine Arbeiten erklärt. Ihn reizen die Grenzen der Naturwissenschaften, der rational nicht entwirrbare Rest an Unerklärlichem. Bei ihm als Künstler werden so archetypische Bilder evoziert.

Anti-aufklärerisch sei die Tendenz seines Tuns, sagt er. Das Staunen, das Francis Bacon, vor vierhundert Jahren einer der Gründungsväter neuzeitlicher Wissenschaft, allenfalls als Keim des Strebens nach Erkenntnis zuließ, scheint für ihn treibende, sich selbst erfüllende Kategorie. Eine Begeisterung für Science Fiction kommt hinzu, Zahlenmagie eines verschwörerischen Kabbalismus sowie die eigene bekennende Religiosität als konvertierter Katholik.

Doch Björn Dahlem ist kein fanatischer Sektierer. Dafür ist er viel zu bedächtig, trägt alles recht abgeklärt vor und scheint bereits in jungen Jahren über die nötige (professorale) Gelassenheit sowohl gegenüber seinem eigenen Werk als auch gegenüber anderen Zugängen zur Skulptur zu verfügen. Dahlem, der zum Wintersemester als Gastprofessor für die Grundlehre der Bildhauerei an die HbK zurückkehrt, wo er das Fach vor zwei Jahren schon einmal vertrat, hat sich beim Ausstellungsaufbau von seinen ehemaligen Braunschweiger Studierenden helfen lassen: Manches Objekt sitzt jetzt etwas beklemmt, verrutscht unter der Plexiglashaube, die große Arbeit „Seltsamkeit“ kollidiert im Spiegelsaal des Kunstvereins mit dem kristallenen Deckenlüster knapp darüber – Dahlem indes scheint es nicht zu stören.

Dahlems künstlerische Welterklärungsversuche gewinnen vor dem Hintergrund dieser Seelenruhe an glaubwürdiger Ernsthaftigkeit. Komik oder Ironie, wie es durch das spielerisch wie Weihnachtsbasteleien zusammengestoppelte Ausgangsmaterial vom Kreuzberger Trödel optisch nahelegt, sollte man in ihnen nicht vordergründig sehen. Sie sind autarke Objekte, die der Skepsis gegenüber unserer rationalen Welt Gestalt geben wollen, schöpferische Zivilisationskritik, spirituell motivierter Zweifel. „Klug fragen können, ist die halbe Weisheit“, sagte ja bereits Francis Bacon.  BMB

Björn Dahlem, „The end of it all“: bis 18. 11., Kunstverein Braunschweig

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