piwik no script img

Ein Dämon aus der Zukunft

Preis der Nationalgalerie: Im Hamburger Bahnhof zieht Agnieszka Polska eine Linie vom Bergbau bis zum Data-Mining – und fragt, ob sich das kapitalistische System doch noch überwinden lässt

Von Sabine Weier

„Wir möchten Eure Exzellenz dar­auf aufmerksam machen, dass die Bergleute und alle Arbeiter, die erwarteten, ihre Löhne vor den Feiertagen zu erhalten, uns nun mit tränenreichen Beschwerden überhäufen, dass wir sie nicht bezahlt haben“, heißt es in einem historischen Brief an den polnischen Salzminenbesitzer Mikołaj Serafin. Es ist 1450, Salz ist ein rares Gut. Und Serafins Mine ein seltenes Beispiel früher kapitalistischer Organisation: Er betreibt Lobbyarbeit und beschäftigt bezahlte ArbeiterInnen, die allerdings bald den Aufstand proben.

In Agnieszka Polskas „The Demon’s Brain“ reitet der fiktive Bote dieser Briefe durch eine postapokalyptische Landschaft voller sterbender Bäume. Als er sein Pferd verliert, erscheint ihm ein Dämon aus jener fernen Zukunft, die unter dem Damoklesschwert der Klimakatastrophe den digitalen Kapitalismus übt. Das animierte Fabelwesen, mal Pferdekopf mit niedlichen Riesenaugen, mal zweiköpfiger Rabe, mal nur das Paar Augen mit Mund, gibt sich als eines jener Programme zu erkennen, die im Hintergrund ablaufen und nur indirekt mit UserInnen interagieren. Nun hat es offenbar eine eigene Intelligenz erlangt.

Das Kindchenschema kennen wir schon aus dem Animationsfilm „What the Sun Has Seen“, in dem eine Sonne eine Neuinterpretation eines Gedichts von Maria Konopnicka spricht und Zusammenhänge zwischen Datenmüll und Klimawandel verhandelt. Vergangenes Jahr gewann die 1985 im polnischen Lublin geborene und in Berlin lebende Künstlerin damit den Preis der Nationalgalerie. Jetzt zeigt sie auf vier Screens in der historischen Halle des Hamburger Bahnhofs ihre neue, bisher umfangreichste Arbeit. Die Ausstellung ist quasi das Preisgeld.

Dass für die Ausstellung und die repräsentativen Veranstaltungen mit den vier nominierten KünstlerInnen – Agnieszka Polska, Sol Calero, Iman Issa und Jumana Manna – kein Honorar vorgesehen war, kritisierten diese in einem offenen Brief. Außerdem seien Gender und Nationalitäten in Pressemitteilungen und öffentlichen Reden immer wieder betont worden, so die Unterzeichnerinnen weiter, was zeige, wie weit die Kunstwelt von einer egalitären Gesellschaft entfernt sei und wie sich Diversität als PR-Tool eigne. Dass Polska nun nicht etwa in einer Geste des Protests von ihrer Ausstellung Abstand nahm, sondern mit einer klugen Arbeit in der ihr eigenen Rhetorik zwischen poetischer Figuration und wissenschaftlicher Recherche nach den Ursachen solcher Probleme forscht, war eine gute Entscheidung.

Mit der Ästhetik des monumentalen Historienfilms und hypermoderner Animation operierend, analysiert Polska die Geschichte des patriarchalen Kapitalismus vom Bergbau bis zum Data-Mining. Das tut sie nicht alleine. Sie hat dafür eine Reihe von TheoretikerInnen eingeladen, deren Beiträge im Dezember in einer Publikation veröffentlicht werden und in kurzen Auszügen schon in der Ausstellung zusammen mit einigen Zitaten aus den Briefen an besagten Serafin zu lesen sind.

Auch die neoliberale Variante des Systems Kunst befeuert ein Mangel

Die Medientheoretikerin Tiziana Terranova etwa (welche die bekannte These popularisierte, dass UserInnen ohne Entlohnung für die digitale Wirtschaft arbeiten) zeichnet nach, wie sich der Kapitalismus nach der Extraktion von Bodenschätzen (wie Salz) mit der von Daten eine neue Grundlage geschaffen hat und aus der Gesellschaft ganz auf Basis freiwilliger Übergabe Schätze hebt.

Der Soziologe Jan Sowa zeichnet eine Geschichte des Risses durch Ost- und Westeuropa zurück bis in die Zeit nach, in der Serafin seine Salzminen führte, und fragt angesichts der Tatsache, dass Salz heute nicht mehr selten, sondern im Überfluss verfügbar sei, nach der Möglichkeit einer Post-Mangelgesellschaft. Der Mangel aber sei notwendig für das Funktionieren eines kapitalistischen Systems, folgert er – selbst die Verknappung endlos verfügbarer technisch produzierter Ware werde in Form repressiver Copyright-Politiken oder Zugangsbeschränkungen notwendig betrieben.

Auch die neoliberale Variante des Systems Kunst befeuert ein Mangel – an Förderung, Budget, Sichtbarkeit. KunstarbeiterInnen werden selten entlohnt und sind von Preisvergaben abhängig. Droht dem Kapitalismus erst durch die Klimakatastrophe der Kollaps? Oder, wie Sowa hofft, zeigt die Geschichte des Salzes, dass wir den Mangel überwinden können? Ist es noch möglich, Big Data für andere Ziele als die der DatenkapitalistInnen zu vereinnahmen, wie Terranova fragt? Jener programmierte Dämon jedenfalls fordert den wimmernden Boten zur Selbstermächtigung auf. Er könne alles ändern. Noch sei es nicht zu spät.

Hamburger Bahnhof, bis 3. März

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen