Die hohe Kunst des Fußballs

Kultur und Fußball sind längst schon keine Gegensätze mehr. Sie bilden einen Teil des gigantischen Berlin-Marketings zur WM. Rund 150 kulturelle Veranstaltungen plant die Stadt für das Großereignis

von Tina Hüttl

Wenn’s um die Fußball-WM 2006 geht, spielt alles nur in der Klasse der Superlative. Auch das Kunst- und Kulturprogramm in Berlin, das sich rund um das große Ereignis dreht. Schon jetzt tingeln die Berliner Philharmoniker als WM-Botschafter durch die Metropolen der Welt in eindeutiger Mission: Sie werben für die Kultur- und WM-Stadt Berlin. Denn hier sollen Fotografie, bildende Kunst, Film, Theater und Literatur in diesem und kommenden Jahr Großartiges zum Thema Fußball auf die Beine stellen. Das jahrzehntelange Nichtverhältnis von Fußball, Künstlern und Intellektuellen ist einer innigen Symbiose gewichen. Finanziert werden viele der bereits fest geplanten Projekte in Berlin von der eigens gegründeten nationalen Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

Gerade mal sechs Spiele werden in der Stadt ausgetragen. Bei 74.000 Sitzplätzen im Olympiastadion macht das nur knapp 445.000 Menschen, die sie live erleben können. Doch das tut der Vorfreude der Stadtvermarkter keinen Abbruch. Trotz der weitgehend „geschlossenen Veranstaltung“ rechnet man bei der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) mit dem Besuch von über einer Million Fußballfans in der Hauptstadt. Für den BTM-Medienbeauftragten Gerhard Buchholz ist das sogar eine konservative Schätzung. „Berlin bietet in dieser Zeit wesentlich mehr als das, was zwischen An- und Abpfiff auf dem Spielfeld geschieht.“ Das Public Viewing, also das Fußballgucken mit Freunden und Fremden in der Öffentlichkeit, sei nur eine Attraktion unter vielen. Ob in der eigens erbauten Arena des Großsponsors adidas, im Sony Center oder in der Waldbühne – überall hofft man auf den kollektiven Glückseligkeitsrausch.

Nicht nur das soll Bewohner und Besucher von der Stadt überzeugen: Schon jetzt werde etwa hart daran gearbeitet, erklärt Buchholz, das Motto der WM „Die Welt zu Gast bei Freunden“ eins zu eins auf Berlin zu übertragen. Da lernen die Taxifahrer der Stadt Englisch, und das Servicepersonal in Hotels und Geschäften wird in Sachen Freundlichkeit gecoacht – die ja bekanntlich nicht gerade zu den Stärken der Berliner zählt. Selbstverständlich soll neben den Menschen auch die Stadt selbst leuchten. Und da dies wegen der vielerorts architektonischen Tristesse und zahlreicher Baustellen schwierig werden könnte, muss es vor allem durch Kunst und Kultur geschehen.

Insgesamt werden zwischen 120 und 150 kulturelle Projekte die Stadt zur WM bereichern, schätzt Manfred Fischer, der die Veranstaltungen innerhalb der Senatskulturverwaltung koordiniert. Dabei findet das umfangreiche Begleitprogramm längst nicht nur in den vier Wochen während der WM statt. Schon im vergangenen Monat lud das Berliner Literaturhaus zu Lesungen von Fußball- und Sporttexten unter dem Motto „Die Wahrheit liegt auf dem Platz“. Parallel dazu bringen Deutschlands große Dichter auf Plakaten „Poesie in die Stadt“. „Meiner hat eine Delle. Von Jugend an drücke und drücke ich; aber er will nur einerseits rund sein“, dichtet etwa Günter Grass auf einem Poster, das in Berlin sowie den anderen WM-Städten noch bis Ende August plakatiert ist.

Schon ab kommenden Oktober beginnt dann die erste große Ausstellung. In „Rundlederwelten“ im Martin-Gropius-Bau beschäftigen sich 60 KünstlerInnen mit allem, was Fußball ausmacht: Ball, Spieler, Rasen, Spielregeln, Schiedsrichter, Fans und Medien. Die von dem mittlerweile verstorbenen Harald Szeemann kuratierte Schau nutzt vielfältige Spielarten wie Malerei, Videoinstallationen, Zeichnungen, Plastiken und Fotografien, die zum Teil speziell für die WM angefertigt wurden. Mit den oft überkochenden Emotionen beim Fußball spielt etwa der französische Künstler Jacques Julien, der ein übergroßes, demoliertes Tor als Installation zeigt. Der deutsche Künstler Michael Staab inszeniert dagegen den Albtraum vieler Fans, die die Vorfreude in vollen Zügen genießen: In seiner „Informationsstelle“ scheinen alle Spiele der WM 2006 bereits entschieden – oder kann der Betrachter ihren Ausgang doch noch beeinflussen?

Längst nicht bei allen Projekten stehen Ort, Datum und Inhalt schon fest, wie Fischer weiß. Er ist Mitglied in der vom Senat einberufenen Projektgruppe Fifa 2006 und sammelt derzeit verbindliche Informationen von allen Veranstaltern für eine Broschüre, die die BTM herausgeben wird. Über eigene Programmmittel für die WM verfügt die Kulturverwaltung jedoch nicht. Sie vermittelt Berliner Kultureinrichtungen und freien Institutionen lediglich Kontakte zu Stellen, wo sich noch zusätzliches Geld abzwacken lässt.

Generell finanziert sich das Kulturprogramm zur WM aus mehreren möglichen Töpfen. Die größte Geldquelle ist die nationale DFB-Kulturstiftung. 30 Millionen Euro stellt der Bund für nationale und internationale „Projekte mit Fußballbezug“ zur Verfügung. Durch den Verkauf von silbernen Gedenkmünzen, die an die WM erinnern sollen, will man die Millionen wieder reinholen, die schon längst ausgegeben sind. Rund 100 Projekte hat eine Komitee um den Kurator der WM, den österreichischen Multimediakünstler André Heller, im vergangenen Jahr als förderungswürdig ausgewählt. „Noch nie hat es im Vorfeld einer Fußball-WM solch ein anspruchsvolles Kunst- und Kulturprogramm gegeben“, schwärmte da unlängst Bundesinnen- und Sportminister Otto Schily (SPD). Allein 30 vom DFB finanzierte Projekte steigen in Berlin. Geld für Veranstaltungen bekommen dabei keineswegs nur die großen Dinosaurier wie etwa der Martin-Gropius-Bau und die Staatsoper Unter den Linden. Gefördert wird ausdrücklich ein Querschnitt aus Hoch- und Eventkultur.

Neben dem DFB zwacken aber auch die vom Land Berlin getragenen Institutionen von ihren Fördergeldern großzügig etwas fürs Fußballprogramm ab. Und auch Sponsoren, freie Träger und Stiftungen ließen sich für die WM anpumpen. Das meiste davon ist aber noch geheim. Nur so viel: Die Staatsoper spielt ein Stück über Fußball, frei nach Elfriede Jelinek. Und wenn im Winter wieder die lange Nacht der Museen anbricht, dann steht auch sie diesmal unter dem Motto des einzigen Balles, der die Welt dominieren kann – zumindest eine Zeit lang.