: Alles verschlüsselt
Wenn Malerei in den Raum wächst: Thomas Scheibitz versucht sich als vierter Künstler am Kesselhaus der Kindl-Brauerei
Von Beate Scheder
Der Blick geht nach oben. Klar, wohin sonst bei einem Raum von 20 Meter Höhe? Das Kesselhaus der Neuköllner Kindl-Brauerei ist ein irrer Spielplatz für die Kunst, eine großartige Herausforderung und Zumutung zugleich. Der Erste, der sich dieser 2014 stellte, war Roman Signer. Der Schweizer Bildhauer hängte ein Flugzeug kopfunter von der Decke. Zwei Jahre später füllte David Claerbout den Raum mit einer Leinwand für sein Mammutprojekt Olympia; 2017 baute Haegue Yang eine hängende, transparente Konstruktion aus Jalousien hinein. Allesamt waren es Arbeiten, die speziell für das Kesselhaus entstanden, für einen Ort, wo früher Bier gebraut wurde und heute – wenn man so will – Gedanken.
Dort luden die Werke jeweils lange genug ein, um von allen Seiten und bei unterschiedlichen Witterungs- und Lichtverhältnissen betrachtet werden zu können. So wie jetzt Scheibitz’ Beitrag noch bis Mitte Mai 2019. Thomas Scheibitz ist der Vierte in der Reihe, kuratiert von Andreas Fiedler. Auch ihm wurde weitgehend freie Hand gelassen. Einzige Vorgabe: Er sollte eine Skulptur bauen, die auf dem Boden steht.
Da steht sie nun also, „Plateau mit Halbfigur“ betitelt. Es ist die größte Arbeit, die Scheibitz je angefertigt hat. Er musste sich von Statikern beraten lassen, damit jedes der Bauteile, die seine Halbfigur bilden, auch tatsächlich da bleibt, wo es ist. Aber was soll das überhaupt sein, eine Halbfigur? Eine nur halb fertige, fragmenthafte Figur, könnte man sagen. Scheibitz’ Skulpturen verharren irgendwo im Dazwischen, sind nicht wirklich zwei-, aber auch nicht dreidimensional, was vor allem an ihrer Nähe zu seiner Malerei liegt. Beide speisen sich aus einem ganz ähnlichen Formen- und Farbenrepertoire, nicht ganz abstrakt, nicht ganz gegenständlich, leuchtend wie blass, aber immer mit strengen Konturen.
Verbergen und sichtbar machen
Hier wie da, in Malerei wie Skulptur, liegt der Fokus auf dem Verbergen und Sichtbarmachen. Malerisch schichtet Scheibitz Dinge vor- und übereinander, skulptural macht er das ebenso, nur dass man sich die Chose dann von allen Seiten, je nach Größe auch von oben und unten, ansehen kann. Im Kesselhaus fällt das „von oben“ naturgemäß weg. Dafür kann man um das „Plateau“ samt „Halbfigur“ herumgehen, um die Elemente wieder auszudifferieren, die Scheibitz darin aus angestrichenem Holz und verharzter Pappe verbaut hat. Sie stammen aus seinem bereits seit Jahren bekannten Vokabular an Formen, nur eben in anderem Maßstab: Tropfen, Gesichter, Buchstaben, Häuser, Brücken, Stiefel, die man mal mehr, mal weniger als solche erkennt.
Es seien „Dinge die sich am Rande einer Erfindung befinden“, sagt er, Dinge, die man so noch nie gesehen habe, die einen eine Millisekunde später aber doch an etwas Bekanntes erinnerten. Es gibt ein bekanntes, gern wiederholtes Zitat des Künstlers, in dem er behauptet, ein Bild sei für ihn verloren, sobald man es nacherzählen könne.
Darum geht es ihm offenbar in seiner Kunst: ums Verschlüsseln. Freundlicherweise ist Scheibitz aber durchaus bereit, seinem Publikum beim Entschlüsseln zu helfen. Erhellend, zumindest ein Stück weit, ist es, wenn man den Katalog zur Ausstellung zur Hand nimmt. Momentan ist es nur ein schmaler Band, ein zweiter soll folgen. Der schon vorliegende bringt einem den Blick des Malers auf die Dinge näher, auf jene, die ihn zu seiner Halbfigur inspirierten und ihn im Arbeitsprozess begleiteten. Als da wären Fotografien von Plattenbauten, Kupferstichen, vom Farbmodell eines griechischem Tempels, einem halb verfallenen Mauerstück aus der Mostarer Partisanen-Nekropole und Abbildungen von seinen eigenen Studien, Modellen und Stellproben auf dem Weg zur Ausstellung. Manches kann man der Arbeit ansehen, manches nicht, umso besser.
„Things Doing Their Thing“, der Titel der gleichzeitig im Maschinenhaus M2 laufenden Einzelausstellung der Fotografin Kathrin Sonntag, bietet sich als Kommentar auf Scheibitz’ Arbeit geradezu an. Über die erste institutionelle Solopräsentation der Künstlerin in Berlin soll an dieser Stelle nicht viel mehr geschrieben werden, als dass sie unbedingt sehenswert ist, schon gar in Kombination mit Scheibitz’ Arbeit. Ähnlich und doch ganz anders schauen die beiden auf die Dinge und ihre Formen und schaffen daraus etwas Neues.
Nachhängen kann man derlei Gedanken übrigens – und das ist trotz Sonntag, trotz Scheibitz, doch die allerbeste Neuigkeit aus dem Kindl – im Café des Kunsthauses. Denn dort hat die aus der Karl-Marx-Allee vertriebene Bar Babette bis Ende des Jahres eine Bleibe gefunden.
Bis 12. Mai 2019: Kindl-Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3, Berlin-Neukölln, Mi.–So. 12–18 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen