heute in hamburg: „Die Frauen können sich verwirklichen“
Ursula Madeisky, 67, ist Produzentin und Filmemacherin und lebt in Frankfurt am Main.
Interview: Marthe Ruddat
taz: Frau Madeisky, Ihr Film heißt „Wo die freien Frauen wohnen“. Wer sind denn die freien Frauen und wo wohnen sie?
Ursula Madeisky: Die freien Frauen sind die Frauen des Volks der Mosuo. Sie leben im Süden Chinas, rund um den Lugu-See.
Und inwiefern sind die Mosuo-Frauen freier als wir?
Die Mosuo leben, im Gegensatz zu uns, in einer matriarchalen Sozialstruktur. Das weibliche Wesen steht im Zentrum der gesamten Gesellschaftsordnung. Sie leben in Mutterclans zusammen. Das heißt, dass es nicht die klassische Kleinfamilienstruktur gibt, sondern auch der Mann seine Heimat in der Familie seiner Mutter hat. Die Vaterrolle kennen die Mosuo nicht, dafür die des Onkels.
Welche Vorteile hat das?
Die Frauen bei den Mosuo können sich in vielen Bereichen verwirklichen. Sie tragen Verantwortung, aber können auch das tun, wonach ihnen ist. Sie werden nicht gelenkt oder gebremst. Im Gegenteil: Sie haben den sehr wohlwollenden Clan als Verstärkung immer hinter sich. Die Frauen sind nie allein und stehen nie unter dem Druck, ihren Standpunkt zu behaupten oder alles alleine machen zu müssen. Das heißt nicht, dass die Frauen wie Göttinnen auf einen Sockel gehoben werden.
Aber sie sind die Anführerinnen?
Nein, es gibt einfach keine Dominanz – weder des Mannes noch der Frau. Es gibt keine Hierarchien und auch keine Demokratie. Die Mosuo sind viel weiter: Es herrscht das Konsensprinzip.
„Wo die freien Frauen wohnen“ Filmvorführung mit der Produzentin Ursula Madeisky und Co-Regisseurin Dagmar Margotsdotter. 20 Uhr, Abaton Kino, Allende-Platz 3.
Was heißt das genau?
Wenn es Probleme gibt, werden sie freundlich debattiert. Das passiert über einen langen Zeitraum und eher im Alltag und nicht auf extra angelegten Treffen. Die Mosuo kennen keine Rechthaberei, Menschen werden nicht als gut oder schlecht beurteilt. Es wird immer zuerst geschaut, was das Gegenüber braucht. Die Frauen und Männer schätzen und respektieren sich sehr und wollen sich nicht gegenseitig umerziehen.
Die Mosuo haben Kontakt zu patriarchalen Gesellschaften. Ist ihre matriarchale Struktur deshalb bedroht?
Wenn sich matriarchale Strukturen in anderen Gruppen in der Vergangenheit aufgelöst haben, dann geschah das natürlich durch äußere Einflüsse. Und wenn sich Mosuo-Männer ständig in patriarchalen Gesellschaften aufhalten, zum Beispiel durch Reisen oder Arbeitsmigration, dann gibt es keine Garantie, dass sie ihre matriarchale Einstellung beibehalten. Aber grundsätzlich sehe ich da eine geringe Gefahr. Unter den Mosuo herrscht einfach eine unvorstellbar große Liebe zu ihrer großen Familie und eine hohe Grundzufriedenheit mit ihrer Lebensweise.
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