Ein Leben lang immer nur Provisorium

Nach der Brandkatastrophe in Paris steht die Benachteiligung westafrikanischer Einwandererfamilien auf dem Wohnungsmarkt der französischen Hauptstadt in der Kritik. Die Überlebenden warten in einer Turnhalle auf neue Wohnungen

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Notfalls bleiben wir in der Turnhalle“, sagt Omar Cissé, „ein neues Provisorium nehmen wir nicht hin.“ Bis zu der Nacht zum Freitag war der Malier Hausmeister. Jetzt spricht er für die Überlebenden des Hausbrandes am Boulevard Vincent Auriol im 13. Pariser Arrondissement. 17 Menschen kamen in dem Flammen um, darunter 14 Kinder.

Ihre Angehörigen sind in eine Turnhalle umgezogen. Nach Nationalitäten getrennt, haben sich die Malier, Senegalesen und Ivorer niedergelassen. Die Zimmer in dem Billighotel, die ihnen die Stadtverwaltung angeboten hat, haben sie abgelehnt. In der Turnhalle brennt nachts das Licht. Damit die Kinder keine Albträume haben.

130 Afrikaner lebten in den heruntergekommenen Wohnungen des Hauses am Boulevard Vincent Auriol. Seit Jahren warteten sie auf Sozialwohnungen. Die notwendigen Voraussetzungen erfüllen sie: Die Männer und manche Frauen haben Arbeit – davon viele bei der Pariser Stadtreinigung und bei privaten Reinigungsunternehmen –, sie haben Aufenthaltspapiere für Frankreich, sie sind in der Lage, Sozialmieten zu zahlen, und sie sind kinderreich. Dennoch bot ihnen die Stadtverwaltung nichts an.

In den Schubladen des Pariser Rathauses stapeln sich 100.000 Antrage auf Sozialwohnungen. Manche davon seit mehr als zehn Jahren. In dieser Zeit ist in Frankreich landesweit der Bau von Sozialwohnungen massiv zurückgegangen. Vor zwei Jahrzehnten wurden alljährlich rund 80.000 neue gebaut. Ende der 90er-Jahre waren es noch knapp die Hälfte. Gegenwärtig ist die Tendenz wieder leicht steigend.

Im Jahr 2000 trat das nach dem kommunistischen Wohnungsminister benannte „Gayssot-Gesetz“ in Kraft. Es sieht vor, dass jede französische Gemeinde mindestens 20 Prozent Wohnraum als Sozialwohnungen zur Verfügung stellen muss. Gedacht war das Gesetz als Maßnahme gegen die Wohnungsnot und als Mittel, um mehr soziale Mischung in die Gemeinden zu bringen. Gegenwärtig haben Arbeitergemeinden wie Nanterre bei Paris einen Sozialwohnungsanteil von 55 Prozent.

Der benachbarte Nobelvorort Neuilly hingegen, dessen langjähriger Bürgermeister Nicolas Sarkozy jetzt Frankreichs Innenminister ist, hat nur 2,5 Prozent Sozialwohnungen. Soziale Mischung ist in Neuilly und anderen Reiche-Leute-Orten nicht willkommen. Ein Drittel der Gemeinden in Frankreichs Hauptstadtregion Île de France zahlt lieber Strafen als Sozialwohnungen zu bauen.

Hauptopfer der Wohnungsmisere sind sozial Schwache, insbesondere Einwanderer. Für afrikanische Wohnungssuchende kommt erschwerend hinzu, dass sie nicht nur bei privaten Vermietern, sondern auch bei den Verwaltern von Sozialwohnungen einen schlechten Ruf haben. Sie gelten als säumige Mietzahler und als unverantwortlich im Umgang mit den Wohnungen. Malier in Frankreich leben nicht selten mit zwei Frauen und vielen Kindern zusammen. Die für Kleinfamilien gebauten Wohnungen verkommen bei solchen Überbelegungen schnell.

Die Geschichte der Wohnungsmisere afrikanischer Arbeiter in Frankreich ist lang. Heute noch leben tausende meist westafrikanischer Männer in „Arbeiterwohnheimen“. Sie teilen sich Räume mit drei Betten, manchmal sehr viel mehr. Sie zahlen Mieten, die auch die Verpflegung einschließen. Sie leben in einer rein afrikanischen Männergemeinschaft. Und sie überweisen den Großteil ihrer Löhne nach Hause. In Mali leben ganze Dörfer von den Überweisungen dieser Männer.

Die Ursache der Brandkatastrophe von der Nacht zum Freitag ist noch ungeklärt. Ein Kurzschluss war es nicht. Benzin oder anderer Brennstoff, der auf einen kriminellen Akt hinwiese, ist nicht gefunden worden.

Die Überlebenden warten nun in der Turnhalle auf Sozialwohnungen. Ihr Sprecher Cissé ist zuversichtlich, dass ihr Provisorium zu Ende geht. In der Brandnacht, erzählt er, kam Bertrand Delanoë, der Bürgermeister von Paris, an den Boulevard Vincent Auriol. Er legte dem Ex-Hausmeister beide Hände auf die Schultern und versprach: „Alle bekommen eine Wohnung.“ Cissé fügt hinzu: „Er hat mir sein Ehrenwort gegeben. Vor Zeugen.“