Europa fehlt der Leitfaden

Die Europäer können den Textilkonflikt nicht lösen, weil sie sich selbst im Weg stehen

BRÜSSEL taz ■ EU-Handelskommissar Peter Mandelson rechnet mit einer schnellen Lösung im Textilstreit mit China. Er wollte noch gestern den EU-Mitgliedstaaten einen entsprechenden Vorschlag zukommen lassen. Mandelson geht davon aus, dass die rund 75 Millionen Kleidungsstücke aus China, die zurzeit an den europäischen Grenzen festliegen, bis Mitte September frei gegeben werden können. Einzelheiten nannte er nicht.

Bis gestern hatte eine EU-Delegation in Peking verhandelt. Das eigentliche Problem sind allerdings nicht die Chinesen, sondern die Europäer: Die Mitgliedstaaten hatten die EU-Kommission im Frühjahr aufgefordert, den Textilhandel mit China zu begrenzen. Sie wollten ihre Firmen vor Billigkonkurrenz schützen. Nur wenige Monate später verlangen die Gleichen eine Quoten-Lockerung. Denn ihre Importeure haben Ware aus China gekauft. Diese liegt nun beim Zoll, weil die Einfuhrkontingente ausgeschöpft sind.

Das beste Beispiel für diesen Sinneswandel: der französische Staatspräsident Jacques Chirac. Kurz vor dem französischen Referendum über die EU-Verfassung drängte er, die chinesischen Importe einzuschränken. Er wollte das Bild vom neoliberalen Europa abschwächen. Jetzt will er den Umgang mit der China-Ware lockern.

Aber damit nicht genug. Die Mitgliedstaaten sind sich auch untereinander nicht einig: Frankreich, Italien und Spanien wollen Quoten, die eigentlich für das kommende Jahr bestimmt sind, auf dieses Jahr vorziehen. Aber die Kontingente an sich sollen beibehalten bleiben. Andere Länder wie Deutschland, die Niederlande und die skandinavischen Länder dagegen fordern ein zusätzliches Kontingent für Kleider und Schuhe. Bevor ein Kompromiss mit den Chinesen gefunden werden kann, müssen sich zunächst die Europäer einigen. RUTH REICHSTEIN