Textilstreit wird für EU zum roten Tuch

Im Streit um die Einfuhrquoten von chinesischen Kleidern können sich China und die EU nicht einigen. Die EU-Delegation reiste aus Peking wieder ab – und muss sich von den Medien der Kommunistischen Partei belehren lassen, was politisch korrekt ist

AUS PEKING GEORG BLUME

Dieses Mal ist es den Chinesen gelungen, den Spieß umzudrehen. „Protektionistische Maßnahmen mögen gelegentlich kurzfristig politisch korrekt erscheinen“, belehrte die Parteizeitung China Daily gestern EU-Handelsdiplomaten, die aus Peking nach Brüssel zurückreisten. „Aber sie werden immer die Reform ineffizienter Unternehmen behindern und langfristig negativ wirken.“ Wann je hatte eine KP-Zeitung dem Westen in seiner eigenen Sprache so vorgeführt, was „politisch korrekt“ ist?

Anlass dafür gab der fünftägige Pekinger Verhandlungsmarathon um 80 Millionen chinesische Hosen, Pullover und Blusen. Diese stauen sich derzeit containerweise in europäischen Häfen an, weil die Chinesen ihre Lieferquoten viel schneller als erwartet erfüllten. Was also tun mit der massenhaften Schneiderware? Die Quoten heben und die Ware reinlassen, sagen die Chinesen. Genüsslich spekulieren ihre Medien über das verdorbene Weihnachtsgeschäft vieler europäischer Textilhändler, sollte das chinesische Billiggut nicht die Kaufhausregale erreichen.

Denn für die chinesischen Exporteure sei die aufgestaute Ware nur 43 Millionen Euro wert. Doch für die europäischen Profiteure wäre ihre Nichtauslieferung mit Verlusten von über 800 Millionen Euro verbunden. So schreibt es die chinesische „Internationale Finanzzeitung“ mit einer Spur von Schadenfreude.

Unabhängig von dem mageren Ergebnis, das EU-Handelskommissar Peter Mandelson gestern mit nach Brüssel brachte (siehe Text unten), waren die Verhandlungen mit der EU den Chinesen hochwillkommen. Beide Seiten bemühten sich „aktiv“ um eine Lösung der Probleme, wiederholten die Sprecher des Pekinger Handelsministeriums Tag für Tag. Selten konnte die Pekinger Regierung einer weitgehend privatisierten Branche wie der Textilindustrie so deutlich machen, wozu diese ihre Regierung noch braucht. Peking wandte sich gegen den Vorschlag der EU, für die jetzt festsitzende Ware die Quoten vom kommenden Jahr zu verbrauchen. Das bedeute, das Mittagessen zum Frühstück einzunehmen, so ein chinesischer Diplomat.

Offensichtlich wollte Peking die Europäer hinhalten. Je länger die Verhandlungen währten, desto größer war ihre für Peking günstige Öffentlichkeitswirksamkeit. Zumal heute das gleiche Gezerre mit einer Handelsdelegation der USA beginnt, die ebenfalls neue Textilquoten mit Peking aushandeln will.

Deshalb betonte man in China auch den schwierigen Verhandlungscharakter: Wusste man überhaupt, ob der Streit um Hemden oder Hosen ging – und um wie viele? Ist auch die Ware, die über andere Länder geliefert wird, Gegenstand der Verhandlungen? Will man nun alle Übereinkünfte vom Juni, als Peking und Brüssel in diesem Jahr das erste Mal neue Quoten festlegten, neu verhandeln oder nur den Hosen-Teil? Die Amerikaner sollten aus dem Beispiel mit Brüssel lernen, welch Canossagang ihnen bevorstehen könnte.

Dabei wissen auch die Chinesen, welcher Wahnsinn die Textilbranche in den Ausnahmezustand trieb: Chinesische Exporteure und europäische Vertriebe hätten „irrationale Verhaltensweisen“ gezeigt, um Waren vor der Quoteneinführung im Juni durch den EU-Zoll zu bekommen, räumte das Pekinger Handelsministerium kürzlich ein.

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