: Zwei Frauen wie Vati und Mutti
JUBILÄUM Die taz ist vor der 100. Folge der preisgekrönten Doku-Reihe „Durch die Nacht mit …“ (Sa., 23.05 Uhr, Arte) mit den Macherinnen um die Häuser gezogen
EDDA BAUMANN-VON BROEN, PRODUZENTIN VON „DURCH DIE NACHT MIT …“
AUS BERLIN DAVID DENK
Eigentlich geht das hier natürlich überhaupt nicht: durch die Nacht mit zwei Frauen, die sich seit mehr als 25 Jahren kennen, die Freundinnen waren, bevor sie Geschäftspartnerinnen wurden. „Das Prinzip der Sendung ist ja, dass man sich nicht zu gut kennen darf“, erklärt Edda Baumann-von Broen, die „Durch die Nacht mit …“ zusammen mit Cordula Kablitz-Post produziert. Am Samstag um 23.05 Uhr läuft bei Arte die 100. Folge der Doku-Reihe, in der stets zwei Prominente miteinander einen Abend um die Häuser ziehen.
Zum Jubiläum werden die Macherinnen ihrem Konzept selbst untreu, indem sie das Moderatorenduo Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf in einem Tourbus von Berlin auf eine 48-stündige Europareise nach Hamburg, Gent, London und Paris schicken, wo sie einige Gäste aus den bisherigen 99 Sendungen treffen, etwa Peaches, Lars Eidinger, Nina Hagen, Wim Delvoye, Mimi Müller-Westernhagen und als Sahnehäubchen Michel Friedman. Im Anschluss an die 100-minütige XXL-Folge (Regie: Hasko Baumann) laufen drei von den Zuschauern ausgewählte Begegnungen.
Noch ein weiterer Störfaktor belastet das Unternehmen „Durch die Nacht mit …“ den „Durch die Nacht mit …“-Produzentinnen und -Autorinnen: der taz-Reporter, der ja durch seine bloße Anwesenheit selbst zum Akteur wird, viel mehr als sonst die Kamerateams. Der Platz im Licht gebührt den Avanti-Media-Chefinnen, die sich aber eben nicht gegenseitig befragen wie die Gäste in der Sendung, sondern interviewt werden. Das zu leugnen wäre unlauter, das zu betonen eitel. Ein Dilemma.
Ein Montagabend im September, gegen 19.30 Uhr: Im Büro von Avanti Media an der Gneisenaustraße, zweiter Hinterhof, Dachgeschoss, brennt noch Licht. Bevor es losgehen kann, müssen Edda Baumann-von Broen und Cordula Kablitz-Post, beide Jahrgang 1964, mit ihrem Team noch ein bisschen die Jubiläumsparty organisieren. Und fotografiert werden. Der Rollenwechsel behagt ihnen nicht. Die Arbeit des Fotografen überwachen sie streng, lassen sich die Bilder auf dem Kameradisplay zeigen. Kablitz-Post holt eine Jacke, um ihre Oberweite zu verbergen. Nächster Versuch. „Da sind meine Beine ein bisschen blöd“, kommentiert Baumann-von Broen. Nächster Versuch. Eine von ihnen sei bei gemeinsamen Fotoshootings immer unzufrieden, sagt Kablitz-Post. „Mädchensache, ne?“, sagt der Fotograf.
Dann bestehen sie darauf, dass der Fotograf noch ein Gruppenfoto macht. Baumann-von Broen und Kablitz-Post sitzen auf Stühlen in der Mitte, „wie Vati und Mutti“, kommentiert Letztere. Als auch das geschafft ist, verabschiedet sich die gute Handvoll Mitarbeiter in den Feierabend. Als Fernsehprofis wissen Kablitz-Post und Baumann-von Broen, wie trostlos leere Büros wirken können. Also haben sie dafür gesorgt, dass der taz-Reporter mehr zu sehen bekommt als Regalwände voller Aktenordner mit Anfragen und den Bändern bisheriger Begegnungen.
Jürgen Vogel will nicht
Es kann dauern, bis es zu diesen Begegnungen kommt. „Man gräbt ewig an Leuten rum, deren Apparat teilweise gigantisch ist“, sagt Producer Robert Kreuzaler. „Oft kommt hinten kaum etwas von der Information an, die man vorne hineingegeben hat.“
Schauspieler Gael Garcia Bernal musste sechs, sieben Jahre bearbeitet werden, Kollege Jürgen Vogel ließ sich trotz mehrerer Anfragen bisher nicht erweichen. Das Treffen von Modeschöpfer Wolfgang Joop mit Tokio-Hotel-Sänger Bill Kaulitz dagegen stand binnen 24 Stunden. „Der Trick ist, dass wir so gut recherchiert haben, dass wir Leute zusammenbringen, die sich was zu sagen haben“, sagt Baumann-von Broen.
Mal klappt es, mal nicht – auch darin liegt der Reiz des 2006 mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Formats. Es können unvergessliche Begegnungen werden für Protagonisten wie Zuschauer, etwa wenn Michel Friedman in Christoph Schlingensiefs Spaghetti rummanscht, aber auch solche, die beide Seiten schnell wieder abhaken wollen, wie etwa die von Kulturmanager Michael Schindhelm und Architekturstar Zaha Hadid. „Die hat an dem ganzen Abend eine einzige Frage gestellt“, erinnert sich Autorin Kablitz-Post, „war völlig unfähig, sich auszutauschen.“ Und Baumann-von Broen ergänzt: „Wir treten nicht nach, machen es im Schnitt nicht schlimmer, sondern versuchen, die Essenz des Abends abzubilden.“ Und das kann genauso ein Reinfall sein wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Mit einer wunderbaren Freundschaft, der zu Christoph Schlingensief, hat auch die Geschichte von „Durch die Nacht mit …“ begonnen: Bei Arte war der mit dem verstorbenen Theater- und Filmemacher umgesetzte „Talk 2000“ so gut angekommen, dass der deutsch-französische Kultursender die „Durch die Nacht mit …“-Pilotfolge – Gäste: Schlingensief und Dirigent Christian Thielemann – in Auftrag gegeben hat. „Heute wäre es vielleicht noch schwieriger, so ein Format beim Sender durchzukriegen“, glaubt Kablitz-Post. Mittlerweile sei die Sendung etabliert, „es kann aber trotzdem irgendwann vorbei sein“. Um sich von „Durch die Nacht mit …“ unabhängig zu machen, produziert Avanti Media auch andere TV-Dokus und Spielfilme.
In Kablitz-Posts dunklem Mercedes SUV, „einer richtigen Hasskarre hier in Kreuzberg“, rauschen wir in die Zossener Straße. „In einer Rotweinlaune“ hat Künstler Marc Taschowsky sich breitschlagen lassen, als Wandschmuck für die Party einhundert „Durch die Nacht mit …“-Gäste zu porträtieren nach Vorlagen aus Zeitungen und Magazinen. „Das ist mein Thema: Ich nehme, was es schon gibt“, erläutert Taschowsky in seinem Atelier. „Das Schlimmste für mich ist, wenn jemand sagt: Komm, mal mich mal!“ Er braucht die Freiheit, niemandem gefallen zu müssen. So ist aus Malerfürst Markus Lüpertz ein grünes Gnommännchen geworden. 700 dieser Bilder im Format 24 auf 18 Zentimeter hat er schon gemalt. Verkaufspreis: 400 Euro. „Die Porträts sind malerischer als vor vier, fünf Jahren“, erklärt er. „Wenn da nichts mehr ginge, hätte ich längst aufgehört.“
Wie Taschowskys Porträts hat sich auch „Durch die Nacht mit …“ in der zehnjährigen Geschichte verändert: „Am Anfang haben wir noch sehr viel mit Splitscreen gearbeitet, wie das damals Mode war“, sagt Kablitz-Post. „Auch die Autofahrten zeigen wir nicht mehr so ausführlich.“ Und von der Idee, dass jede Begegnung ein explizites Thema braucht, haben sie sich sowieso längst verabschiedet. „Was Einfacheres und Spannenderes als das Aufeinandertreffen zweier Menschen gibt es nicht“, glaubt Baumann-von Broen.
Kablitz-Post und Baumann-von Broen sind stolz auf den naturbelassenen Charakter von „Durch die Nacht mit …“, diese „Art Blase, in der man Authentizität erschaffen kann“: „Wir sind das Gegenteil von Scripted Reality“, sagt Kablitz-Post. Trotzdem bestehen beide darauf, ihre Zitate vor der Veröffentlichung gegenzulesen. Das entspricht einer deutschen Konvention, beißt sich aber mit ihrem eigenen Anspruch: „Eine Abnahme würde das Prinzip der Reihe ad absurdum führen: Du willst was Authentisches machen, und dann lässt du dir vorschreiben: das nicht und das nicht und das nicht“, sagt Baumann-von Broen. „Aber selbstverständlich nehmen wir auf Künstler Rücksicht, die uns nach dem Dreh kontaktieren, weil sie sich in bestimmten Szenen unwohl gefühlt haben oder Sachen gesagt haben, die ihnen unangenehm sind.“
Sie hat einen Tisch beim Chinesen Long March Canteen an der Wrangelstraße reserviert, den Baumann-von Broen so mag, weil das Dim-Sum-Restaurant sie an New York erinnert, wo sie neun Jahre gelebt und als freie Musikjournalistin und Dokuproduzentin gearbeitet hat. Das Interesse an den USA verbindet Kablitz-Post und sie: Angefreundet haben sie sich 1985 oder 1986 – da sind sie uneins – auf einer Exkursion der Freien Universität zu einer Lesung des Beatautors William S. Burroughs. Als sie sich später bei Rias TV wiedertrafen und gemeinsam zu arbeiten begannen, bekam das Geschäftliche Vorrang vor dem Privaten.
Noch einen Absacker
Unser nächstes Ziel Kim’s Karaoke am Mehringdamm, wo etwa schon Heike Makatsch und Peaches für „Durch die Nacht mit …“ auf der Bühne standen, hat geschlossen. „Okay, das wäre beim Drehen natürlich nicht passiert“, sagt Baumann-von Broen und schlägt einen Absacker in der Haifischbar am Chamissoplatz vor. Da wohnt sie in der Nähe. Kaum haben wir an einem Bartisch in der Ecke Platz genommen, kippt das Gespräch endgültig ins Private, geht es um Lebensentwürfe, Berlin und die Arbeit als Journalist. Privat wolle „Durch die Nacht mit …“ nicht sein, sondern persönlich, sagt Baumann-von Broen. Also blenden wir uns an dieser Stelle diskret aus. Edda Baumann-von Broen geht schließlich als Erste, etwas später setzt Cordula Kablitz-Post den taz-Reporter ab und fährt selbst nach Hause, nach Charlottenburg, dahin, wo ihre „Hasskarre“ bloß ein Auto ist.
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