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Mädchen im Schlafanzug

Ein Bett für die ganz große Versenkung: „Cry Baby“ von René Pollesch eröffnet die Spielzeit am Deutschen Theater. Es bietet zugleich einen Raum für Schauspieler, die von der Volksbühne vertrieben wurden

Ziemlich voll das Bett, wenn sich der Chor hineinwirft Foto: Arno Declair

Von Katrin Bettina Müller

Was ist ein Liebhabertheater? „Hör mal, als man mir sagte, das sei ein Liebhabertheater, dachte ich, es ginge um Liebhaber, ich wusste nicht, dass du dafür bezahlst, um hier auftreten zu dürfen.“ Sagt J., die Schauspielerin Judith Hofmann, zu S., der Schauspielerin Sophie Rois. S. verteidigt sich: „Für das Beste in meinem Leben habe ich bezahlt, weil: Es war eben das Beste. Und ich hab vor, das auch weiterhin zu tun. Mein Gott, immer wird man gleich verachtet, wenn man dafür bezahlt hat.“

B. mischt sich ein, Bernd Moss in der Rolle eines Zuschauers: „Ich will Schauspieler sehen, die hier was verdienen.“ S. blafft zurück: „Hören Sie mal! Einigen wir uns einfach dar­auf, dass wir beide bezahlt haben. Ich für meine echte Leidenschaft und Sie auch für meine echte Leidenschaft. Sie haben wahrscheinlich gar keine.“

Um die Ökonomie, die Liebe, das Spiel und den Schein ging es schon oft in den Texten von René Pollesch. Das bildet auch diesmal einen Kern seines neuen Stücks, „Cry Baby“, und bringt die Dinge unter einem überraschend neuen Dreh zusammen. Die Rededuelle zwischen Sophie Rois und Bernd dar­um, ob ein Theater mehr wert sei, in dem die Zuschauer bezahlen, oder eines, in dem der Künstler für seinen Auftritt bezahlt, sind ein Höhepunkt des Abends und gehen 1:0 für Sophie Rois aus.

Das Deutsche Theater ist mit René Pollesch und Sophie Rois in die neue Spielzeit gestartet, und das ist auch ein kulturpolitisches Zeichen: Wie bieten denen einen Raum, die von der Volksbühne vertrieben wurden. Es ist kein bitteres Stück geworden und keines der Abrechnung. Auch wenn einige Stichworte vermuten lassen, dass dies mal Thema war, so ist der Karren bei den Proben dann aber wohl doch in eine andere Richtung gefahren.

Oder, besser gesagt, er sucht noch immer seinen Kurs, die Diskurse schlingern und mäandern ein wenig, zitieren aus einem Buñuel-Film („Dieses obskure Objekt der Begierde“), in dem auch ein Liebhaber viel dafür bezahlt, an der Nase herumgeführt zu werden, zitieren aus Heinrich von Kleist („Prinz Friedrich von Homburg“) auf der Suche nach Figuren, die ihren eigenen Ruhm verpassen, hadern mit dem Genie und dem Geniekult in der Welt der Bourgeois. Um dann aber, das ist wieder eine sehr schöne Stelle, doch festzustellen, Bernd Moss darf diese Rede halten, dass der bourgeoise Brauch sich umzukleiden für die Nacht in Gestreiftes und Großgeblümtes doch sehr viel Schönheit hatte. Viel mehr jedenfalls als jeder hässliche Jogginganzug. Weshalb in diesem Stück auf der Bühne alle in Nachtkleidern auftreten.

Der mit 70 Minuten kurze Abend hat großen Charme, was natürlich an den vier Darstellern liegt

Polleschs Stücke sind oft tiefer eingedrungen in intellektuelle Befindlichkeiten und die Widersprüche von Theorien und gesellschaftlichen Modellen, diesmal bleibt vieles häppchenhaft und verknüpft sich kaum. Dennoch hat der mit 70 Minuten kurze Abend großen Charme, was natürlich an den vier Darstellern liegt, Christine Groß ist noch dabei, und an dem Chor, der alle möglichen Figuren übernimmt und von sehr jungen Schauspielerinnen in Schlafanzügen gebildet wird.

Eine Zeit lang laufen sie mit Gewehren herum, Sophie Rois trägt eine Augenbinde, und sie legen auf sie an. Woher kommt jetzt das Erschießungskommando, etwa aus dem „Prinz von Homburg“, aber warum gerade jetzt, das würde man gern wissen, vergisst die Frage aber anlässlich einer anderen absurden Diskussion. Denn die jungen Damen wollen kein Erschießungskommando sein, sondern ein Erschießungsteam, und die Schauspielerinnen Judith Hofmann und Christine Groß versuchen dann ihnen beizubiegen, dass, wo von Team die Rede ist, immer irgendwas verdeckt wird, eine Hierarchie versteckt, eine Zielvorgabe verinnerlicht, kurz: eine Besetzung des Eigenen schon stattgefunden hat.

Und dann ist da noch ein großes Bett, das im Hintergrund der Bühne herumfuhrwerkt und auf dem alle, mit Ausnahme von Bernd Moss, gern schlafen würden. Es ist teilweise sehr voll, voller junger Mädchen, so voll war es zuletzt in einer Liegewagenkabine in „Manche mögen’s heiß“. Ein einladendes Bild, das unabhängig vom Text wieder und wieder seine eigenen Assoziationen weckt. Vom kleinen Theaterschlaf ist dabei die Rede, von der ganz großen Versenkung und von Gottes Schlaf während der Schöpfung. Dass eigentlich alle nur ins Bett wollen, endlich, und schlafen, auch die, die im Theater sitzen und oben auf der Bühne stehen, taucht wie ein Refrain immer wieder auf und garantiert dem Abend trotz seiner Schwächen dann doch unsere Sympathie.

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